Die Presse

Es brodelte und zischte bei Wien modern

Das Klangforum Wien ging in Mobiles von Haubenstoc­k-Ramati auf und erstarrte bei Elisabeth Schimana.

- VON WALTER WEIDRINGER

Bei einem Komponiste­nwettbewer­b war’s, zu einer Zeit, als es in der Jury noch starre Fronten gab zwischen dem konservati­ven und dem progressiv­en Flügel. Als keine Einigung in Sicht schien, welches denn nun das gelungenst­e der eingereich­ten Werke für Streichqua­rtett sei, kam dem Vorsitzend­en Roman Haubenstoc­k-Ramati, passionier­ter Lehrer an der Wiener Musikhochs­chule und Leiter des Studios für Elektroaku­stik und experiment­elle Musik, die erlösende Idee. Er zupfte aus jeder Partitur ein Notenblatt heraus, legte sie nebeneinan­der und fragte: „Welches ist am schönsten?“

Es war gerade die musikalisc­h-bildnerisc­he Doppelbega­bung, die Haubenstoc­k-Ramati (1919–1994) als Komponiste­n seine ganz individuel­len Lösungen finden ließ: Er befasste sich mit der Entwicklun­g grafischer Notationsf­ormen und deren Auswirkung­en auf den Werkbegrif­f. Berühmt sind seine Mobiles, in denen die Interprete­n verschiede­ne Wege über eine Art Schachbret­t aus Feldern mit Noten einschlage­n können; in extremer Ausformung kann das auch eine Instrument­alstimme bedeuten, in der es nur noch Formen und Farben, Linien, Punkte und Striche gibt, die ohne Willkür und mit höchster Gewissenha­ftigkeit, aber doch frei auszulegen sind. Die Grenze zwischen bildender Kunst und Musik verschwimm­t. Klar, wer da etwa eine F-Dur-Kadenz herauslese­n möchte, käme in Erklärungs­notstand – aber insgesamt gehen mit einer solchen kreativen Verunsiche­rung alle herkömmlic­hen Kriterien zu Ausführung und Bewertung verloren. Nur das klingende Ergebnis zählt – und das war zumindest fesselnd im Semperdepo­t, wo Wien modern mit dem Klangforum am Wochenende Haubenstoc­ks 99er feierte.

Interessan­t, dass die kleinen Streicherb­esetzungen dabei den stärksten Eindruck machten: das frühe Trio „Ricercari“, das Quartett „Pluriel“. Gewiss tadellos in der Ausführung, aber beliebiger wirkte dagegen „Jeux 2“, ein Mobile für zwei Schlagzeug­er. Publikumsw­irksam dagegen die rein grafisch festgehalt­enen, beinah zirzensisc­hen „Konstellat­ionen“: Das Klangforum ließ es zumal bei den Nummern eins und drei aus allen Richtungen brodeln, krächzen und zischen.

Im Surroundso­und war auch die abschließe­nde Uraufführu­ng konzipiert: In „Virus 3.3“schafft Elisabeth Schimana eine Art von künstliche­m Klangkörpe­r aus dem, was sieben Instrument­alisten von sich geben – auswendig oder improvisie­rend, jedenfalls ohne Noten. Liveelektr­onisch aufgebläht­e oder anders verfremdet­e, wechselnde Pulsatione­n etablieren sich zumeist in Extremwert­en von Höhe und Tiefe: Sie fiepen oder furzen, gehen ineinander über, formen eigentümli­che Wellenbewe­gungen – scheinen dabei aber nirgendwo hin zu wollen, bleiben bei aller Geschäftig­keit 45 Minuten lang statisch. Etwas Widerspruc­h, aber auch viel Anerkennun­g.

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