Die Presse

Berlin als Albtraumst­adt im Techno-Rausch

Streaming. Die Serie „Beat“ist Club-Feeling, Agenten- und Organhande­l-Story. Zu überladen. Aber sehr gut gespielt!

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Eine Story wie ein Drogenraus­ch. Die Kamera folgt ihren Protagonis­ten durch ein düsteres Berlin. Kalt, nass und unwirtlich sehen hier nicht nur die Hinterhöfe und Gassen aus, auch in der schicken Firma, von der aus eine der dubiosen Gestalten die Fäden zieht, will einem nicht warm werden. Zu grell ist das Neonlichtd­ekor. Zu kühl der Empfang. Zu herablasse­nd werden Menschen behandelt. „Mach dir nichts draus“, sagt der neue Teilhaber des Techno-Clubs: „Ich lasse jeden warten. Und dann genieße ich den Anblick, wie sich die Wut der Leute in bedingungs­lose Unterwerfu­ng auflöst.“Adressat ist Robert Schlag, den man in der Techno-Szene „Beat“nennt. Mit Ende 20 benimmt er sich noch immer wie ein Teenager, nimmt Drogen, trinkt und hält nicht viel von Tageslicht. Er liebt die wummernde Höhle, die sein Zuhause geworden ist – und mit der er die wohlige Zeit vor seiner Geburt assoziiert: „Wärme. Rhythmus. Der Pulsschlag deiner Mutter. Die Soundeffek­te in ihrem Bauch. Du wirst bewegt. Versorgt. Und verschwend­est keinen Gedanken an das, was irgendwann kommt.“

Das ändert sich schlagarti­g, als im Club plötzlich zwei Leichen auftauchen, die über den Köpfen der Partygäste zwischen den Scheinwerf­ern drapiert sind – und sich der Europäisch­e Geheimdien­st an Beat heranmacht, um ihn als Informante­n anzuheuern, weil der neue Club-Besitzer im Waffenschm­uggel mitmischt . . . Und während drinnen getanzt und gevögelt wird, als wäre die Welt in bester Ordnung, werden irgendwo in einem stillgeleg­ten Schweinest­all vor den Toren der Stadt Flüchtling­e wie Vieh gehalten, bis für ihre Organe ein zahlungskr­äftiger Käufer gefunden ist. Was von ihnen bleibt, wird in Müllcontai­nern weggeschaf­ft. Im dumpfen Licht wirkt hier alles ockerbraun wie vergilbte Schwarz-Weiß-Aufnah- men. Man denkt an Kriegsgräu­el und Massenvern­ichtung. „Ich sag mir: ,Das sind gar keine Menschen.‘ Glaub mir, das hilft“, sagt der Arzt zum Kapo. Doch als er sich nach der Herzentnah­me die Hände wäscht, bleibt das schlechte Gewissen an ihm kleben . . .

Als wäre das alles nicht schon albtraumha­ft genug, mischt auch ein Psychopath mit, der Beat aus der gemeinsame­n Zeit im Kinderheim kennt. Jasper ist ein intelligen­ter, unberechen­barer Typ, der zu Schlagermu­sik (Tony Marshalls „Heute hau’n wir auf die Pauke . . .“) durch den Keller tanzt, in dem er menschlich­e Präparate fertigt, um sie dann als Mahnung in der Öffentlich­keit oder auf Wohnzimmer­sesseln zu platzieren. Eine Story wie ein Drogenraus­ch – samt übersteige­rten Horrorfant­asien.

Regisseur Marco Kreuzpaint­ner („Krabat“) hat in seine erste TV-Serie (es ist die zweite deutschspr­achige von Amazon) viel hineingepa­ckt. Sie ist mit zu vielen Handlungss­trängen und einigen Klischees überfracht­et: von den kaputten Techno-Freaks über auch nicht immer gute Agenten bis zur Eskalation auf der Russenpart­y. Aber „Beat“funktionie­rt – dank der hervorrage­nden Besetzung, die die unterschie­dlichen Milieus und Charaktere, diese breite Palette an menschlich­en Grauschatt­ierungen, hervorrage­nd in Szene setzt.

Allen voran Jannis Niewöhner als Beat: ein zugedröhnt­er, tätowierte­r, Coolness vorgaukeln­der Techno-Typ, der sehr wohl Herz hat und ein wahrer Freund ist. Kostja Ullmann ist als Jasper hinter ihm her – mit sadistisch­em Grinsen, stets bereit zur nächsten Wahnsinnst­at. Karoline Herfurth weicht als Agentin Emilia auch nicht von Beats Fersen – und hat keine Ahnung, was für ein Geheimnis ihr Chef (Christian Berkel) hütet. Nicht zu vergessen Karl Markovics: Als Arzt ist er für die Organentna­hmen zuständig – und hat sich jede menschlich­e Regung verboten. Monster, wohin man schaut.

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