Weltweite Christenverfolgung als ein Tabu
Europa schweigt. In der westlichen Öffentlichkeit ist das Schicksal verfolgter Christen in vielen Ländern kein Thema. Davon zu hören ist dem Europäer peinlich, weil es seine bequem-naiven Vorstellungen vom Dialog der Religionen stört.
Als einen „kleinen Schritt zum besseren Zusammenleben“in Pakistan hat die Wiener Kirchenzeitung den Freispruch der pakistanischen Christin Asia Bibi vom Vorwurf der Gotteslästerung durch den Obersten Gerichtshof des Landes bezeichnet. Das war anscheinend gar nicht zynisch gemeint, ist aber eine ziemliche Beschönigung der wahren Zustände in dem Land.
Statt des „guten Zusammenlebens“ist nach der Gerichtsentscheidung im Land ein gewalttätiger Aufruhr ausgebrochen, den die Regierung nur durch einen Deal mit dessen Drahtziehern von der radikal-islamischen Partei TLP beruhigen konnte: Gegen das Urteil wird Revision eingelegt, Bibi darf das Land nicht verlassen, sie wird versteckt gehalten. Ihr Anwalt ist in die Niederlande geflohen. Zu Recht sind die Richter, die Bibi vom Vorwurf der Gotteslästerung freisprachen, als Helden bezeichnet worden, denn sie riskieren dadurch womöglich ihr eigenes Leben.
„Die Blasphemie ist die neue Religion in Pakistan“, schreibt der pakistanische Autor Mohammed Hanif in den „New York Times“sarkastisch. Er spielt damit auf das Blasphemiegesetz an, nach dem auch Asia Bibi, Mutter von fünf Kindern, im Jahr 2010 zum Tod durch den Strang verurteilt worden ist. Sie hat dafür acht Jahre in der Todeszelle verbracht.
Hanif bezweifelt, dass Bibi überhaupt wusste, was der Vorwurf gegen sie bedeutet. Sie hatte einer Arbeitskollegin Wasser aus einem Brunnen angeboten, den sie durch ihre Berührung „unrein“machte. Hier vermischen sich hinduistische Kastenverhältnisse mit muslimischen Reinheitsvorstellungen. Bibi gehört zu einer Gruppe von ehemaligen „Unberührbaren“, die Ende des 19. Jahrhunderts zum Christentum konvertiert sind.
Diesen Status schleppen sie weiter mit sich, und er ist die Quelle für die meisten der Blasphemievorwürfe gegen Christen. Manch- mal werden sie noch mit dem Namen für die Kastenlosen, Chuhra, bezeichnet, was so viel wie Latrinenreiniger bedeutet. Tatsächlich arbeitet ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Christen, viele von ihnen Analphabeten, in oft gesundheitsschädlichen Reinigungsberufen. So hat etwa 2015 das Kardiologische Institut des Punjab, wo die meisten der wenigen pakistanischen Christen leben, Arbeitsplätze im Reinigungsdienst ausgeschrieben, für die sich nur „Nichtmuslime“bewerben durften.
Das Blasphemiegesetz kann aber nicht nur Arme aus der christlichen Unterschicht treffen. Der Literaturprofessor Juanid Hafeez sitzt seit fünf Jahren deswegen im Gefängnis. Er wird in Einzelhaft gehalten, damit ihn andere Häftlinge nicht im Namen der Ehre des Propheten umbringen können.
Die Selbstjustiz der Beleidigten
Der erste Anwalt von Hafeez wurde erschossen, der Name seines jetzigen wird geheim gehalten. In vielen Blasphemievorwürfen ist die Selbstjustiz von sich beleidigt fühlenden Muslimen schneller, als es die Gerichte sind. Die Internationale Gesellschaft für Menschen- rechte in Frankfurt erinnert daran, dass noch Dutzende Menschen wegen angeblicher Gotteslästerung in pakistanischen Gefängnissen sitzen.
Die pakistanische Menschenrechtsanwältin Aneeqa Anthony schreibt: „Einerseits ist es gut, dass Asia die verfolgten Minderheiten Pakistans repräsentiert, andererseits hat niemals eine ausländische Botschaft ein anderes Blasphemieopfer unterstützt.“Es bestehe die akute Gefahr, dass Islamisten, die auch im pakistanischen Parlament vertreten sind, sich für die Freilassung Asia Bibis an anderen Christen rächen wollten.
Die Christen sind die größte verfolgte Religionsgemeinschaft auf der Welt. Im „Weltverfolgungsindex“der evangelikalen Organisation Open Doors wird Verfolgung als „jegliche Art von erlebter Anfeindung wegen der Identifikation einer Person mit Christus“definiert. Das kann von der Einschränkung bürgerlicher Rechte bis zum Tod wegen Konversion zum Christentum reichen.
Nach der aktuellen Einschätzung von Open Doors sind mehr als 200 Millionen Menschen davon betroffen. In muslimischen Län- dern ist oft der soziale Druck der Umgebung die größere Belastung als die offene Verfolgung durch den Staat.
Riads unheilvoller Einfluss
Die islamistische Bewegung ist auch nach Zerschlagung des Islamischen Staats vor allem in Afrika aktiv. In vom Islam bestimmten Regionen radikalisiert sich das Klima durch den Einfluss Saudiarabiens, was auch moderate Muslime unter Druck bringt. Eine friedliche Koexistenz von Muslimen und Christen wird dadurch immer schwieriger. In Asien verstärken sich in hinduistischen und buddhistischen Ländern nationalreligiöse Tendenzen. Seitdem Indien 2014 eine nationalhindustische Regierung bekommen hat, hat sich die Lage der Christen, aber auch der Muslime drastisch verschlechtert.
Die Tatsache, dass sich unter den 50 Staaten mit der stärksten Verfolgung 35 islamische befinden, kann man nicht einfach mit der Unterscheidung zwischen dem „eigentlich“friedfertigen und toleranten Islam und den gewalttätigen Islamisten wegwischen. In Staaten wie Pakistan, Saudiarabien oder Algerien findet die Verfol- gung durch den Staat im Namen des Islam statt. Der Islam kennt die westliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Religion und weltlicher Macht nicht. Der Einzelne ist nur dann vollberechtigter Träger von Rechten und Pflichten, wenn er der islamischen Gemeinschaft – der „Umma“– angehört. Alle anderen Menschen sind Bürger zweiter Klasse, der Grund für Diskriminierungen und Verfolgungen religiöser, gesellschaftlicher und beruflicher Art.
In der westlichen Öffentlichkeit ist das Schicksal der verfolgten Christen rund um die Welt kein Thema. Auch die Kirchen selbst üben sich in eigentümlicher Zurückhaltung und beschwören den „Dialog der Religionen“. Über Verfolgung von Christen in muslimischen Ländern dürfe man nicht reden, weil man dadurch die hiesigen Muslime gewissermaßen in Verlegenheit bringen könnte. Wer es dennoch tut, steht unter dem Verdacht, es gehe ihm gar nicht um das Schicksal der Verfolgten.
Die Kirche der Märtyrer
Die zahlreichen Mordanschläge gegen die Kopten und die Zerstörung von Kirchen in Ägypten etwa werden bei uns kaum noch registriert. Ein Schlaglicht auf die sich ständige verschlimmernde Lage der Kopten hat die bestialische Ermordung von 21 koptischen Arbeitern in Libyen durch ein IS-Kommando vor zwei Jahren geworfen. Der deutsche Schriftsteller Martin Mosebach hat ihnen in seinem Buch „Die 21“(Märtyrer) ein Denkmal gesetzt. Die koptische Kirche in Ägypten sieht sich selbst als eine Kirche der Märtyrer.
Oft werden die Christen stellvertretend für den verhassten, weil überlegenen Westen genommen. Auch die Geschichte des Kolonialismus, der von „christlichen Ländern“ausging, wird häufig ins Treffen geführt. Für den Nahen Osten und Ägypten kann das allerdings nicht gelten. Denn das Christentum ist in allen diesen Ländern um ein halbes Jahrtausend älter als der Islam.