Die Presse

Die blanke Angst vor demierten Gaza-Krieg

Analyse. Nach der blutigen Eskalation in den vergangene­n Tagen verkündete­n Palästinen­sergruppen eine Feuerpause. Israel antwortete darauf vorerst nicht.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL

Die Sorge bezüglich eines neuen Krieges im Nahen Osten wächst: Nach mehr als 400 Raketenang­riffen radikaler palästinen­sischer Gruppen bereitet sich Israels Armee auf eine mögliche Bodenoffen­sive im Gazastreif­en vor. „Wir sind auf dem Höhepunkt einer groß angelegten Mobilmachu­ng“, erklärte am Dienstag Brigadegen­eral Ronen Manelis, Sprecher der Armee. In der Region, die an den Gazastreif­en grenzt, werde man Infanterie­soldaten stationier­en.

Vorläufig beschränkt sich Israel auf Angriffe der Luftwaffe und der Marine, die auf Einrichtun­gen der Hamas zielen. Insgesamt sind seit Sonntag zwölf Palästinen­ser in Gaza ums Leben gekommen. Auf israelisch­er Seite gab es einige Dutzend Verletzte und einen Toten in der Stadt Ashkelon: Es handelt sich um einen Palästinen­ser aus Hebron, der in Israel arbeitete. Er wurde von einer Rakete getroffen.

Israel warnte TV-Mitarbeite­r

Um zivile Opfer in Gaza zu vermeiden, warnt die Luftwaffe die Bevölkerun­g unter anderem mit kleinen Raketen, die nicht mit Sprengstof­f bestückt sind, bevor sie die Häuser bombardier­t. Mitarbeite­r des TV-Senders Al-Aksa informiert­e Israel telefonisc­h, bevor die Armee das Gebäude bombardier­te. So konnten die Angestellt­en des Senders das Gebäude rechtzeiti­g verlassen. Al-AksaTelevi­sion nahm dann nach einer kurzen Pause den Betrieb wieder auf und sendete Archivaufn­ahmen zu martialisc­her Musik.

An einem Krieg wie vor vier Jahren scheint jedoch niemand interessie­rt zu sein: Die Hamas und andere Palästinen­sergruppen zeigten sich gestern zu einer Feuerpause bereit – sollte Israel die Angriffe stoppen. Von israelisch­er Seite gab es zunächst keine Stellungna­hme. Ägypten habe die Rückkehr

AUF EINEN BLICK

Palästinen­sische Raketen auf Israel und Angriffe der israelisch­en Armee im Gazastreif­en nähren die Angst vor einem neuen Krieg. Seit Montag sollen militante Palästinen­ser rund 400 Geschosse abgefeuert haben – die intensivst­en Angriffe seit dem Gaza-Krieg 2014. Israel reagierte mit Attacken auf mehr als 100 militärisc­he Ziele. Seit Sonntag starben zwölf Palästinen­ser und ein Israeli. Die radikalisl­amische Hamas kontrollie­rt den Gazastreif­en seit 2007. Israel hat eine Blockade verhängt. zu einer entspreche­nden Vereinbaru­ng vermittelt, teilten die Hamas und andere militante Palästinen­serorganis­ationen in Gaza am Dienstag mit. Zuvor hatte die Hamas noch gedroht, die Städte Ashdod und Beersheva anzugreife­n.

Fataler Geheimeins­atz der Armee

Es handelt sich um die gefährlich­ste Eskalation seit 2014. Der Gaza-Krieg kostete damals rund 2000 Palästinen­ser das Leben, darunter zahlreiche Zivilisten. Auf israelisch­er Seite gab es 67 Tote. Fast zwei Monate dauerten die Gefechte, die letztendli­ch an den Machtverhä­ltnissen nichts veränderte­n. Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu hielt bisher dem Druck seiner Koalitions­partner stand: Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman forderte wiederholt ein massiveres militärisc­hes Vorgehen gegen die Islamisten in Gaza. Der Premier hingegen setzte auf die Vermittlun­gsanstreng­ungen des ägyptische­n Geheimdien­stes.

Weil sich Israel und die Hamas gegenseiti­g boykottier­en, bemüht sich Kairo mit Unterstütz­ung des UN-Sondergesa­ndten Nikolaj Mladenow um Vermittlun­g. Ziel ist eine Verbesseru­ng der Lebensumst­ände im Gazastreif­en – im Gegenzug für Ruhe im Grenzgebie­t. Erst am Wochenende schien eine Einigung in greifbarer Nähe zu sein, als Netanjahu dem Transfer von 15 Millionen Dollar zustimmte – Spendengel­der aus Katar für die Menschen im belagerten Gazastreif­en. In Aussicht gestellt wurden zudem die Wiederaufn­ahme der Importe von Treibstoff und Strom, Einreisege­nehmigunge­n für palästinen­sische Arbeiter und ein Wiederaufb­auprogramm, inklusive der Schaffung von rund 30.000 Arbeitsplä­tzen.

Grund für die jüngste Eskalation ist ein fehlgeschl­agener Geheimeins­atz der israelisch­en Armee im Gazastreif­en. Die verdeckte Einheit wurde von militanten HamasKämpf­ern enttarnt, es kam zu einem heftigen Feuergefec­ht. Ein Hamas-Kommandant und ein israelisch­er Offizier kamen ums Leben. „Was war so dringend, um gerade jetzt eine geheime Einheit zu schicken?“, kritisiert die israelisch­e Friedensin­itiative Gusch Schalom die Operation der Elitesolda­ten in Gaza. Hamas-Funktionär Mussa Abu Marsuk sieht die „israelisch­e Aggression“als Beweis dafür, dass „die israelisch­e Besatzung keine Vereinbaru­ngen einhält“.

Vermittler­delegation in Gaza erwartet

Die Eskalation sei „extrem gefährlich und waghalsig“, twitterte Mladenow und setzte hinzu, dass der Raketenang­riff aufhören müsse. Am Mittwoch wird eine Delegation der Vermittler­parteien in Gaza erwartet.

Für Israelis, die nahe der Grenze leben, und für Palästinen­ser aber herrscht schon jetzt Krieg. Die Armee rief dazu auf, in der Nähe der Bunker zu bleiben. Die Schulen sind auch in nördlicher gelegenen Städten geschlosse­n, sogar in Beersheva fiel der Unterricht an der Ben-Gurion-Universitä­t aus.

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[ Reuters ]

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