Die Presse

„Italien ist das stabilste Land Europas“

Interview. Friauls Regionalpr­äsident, Massimilia­no Fedriga (Lega), verteidigt Roms Budgetplän­e, ist offen für Chinas Beteiligun­g am Triester Hafen und empfiehlt Ausstieg aus UN-Migrations­pakt.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Die Presse: Im Palazzo der Regionalre­gierung hängen Porträts von Kaiser Franz-Joseph und Kaiserin Elisabeth. Wie ist heute die Beziehung zu Österreich? Massimilia­no Fedriga: Mitteleuro­pa ist unser Hinterland. Wir sind die Brücke nach Österreich – aber auch mit Tschechien, Kroatien, Slowenien sind die Beziehunge­n eng. In Zukunft wollen wir noch stärker in diese Richtung blicken. Auch dank der Renovierun­g des Hafens von Triest wollen wir die Kontakte intensivie­ren.

China zeigt starkes Interesse am neuen Hafen von Triest, es will Triest als zentralen Punkt auf der Seidenstra­ße etablieren. Wie weit sind die Verhandlun­gen? Zwei chinesisch­e Staatsfirm­en sind sehr interessie­rt, es wird noch verhandelt. Gesprochen wird aber auch mit Unternehme­n aus Deutschlan­d, Ungarn, den USA. Triest ist zum Magneten für internatio­nale Investoren geworden, der Hafen ist für sie attraktiv – dank seiner geografisc­hen Lage, der Meerestief­e, des steuerlich günstigen Status als freier Hafen.

Viele sehen hinter der Seidenstra­ße Großmachtp­läne, in der EU will man chinesisch­e Investitio­nen in Infrastruk­tur einschränk­en. Die Lega-Fünf-Sterne-Regierung hingegen öffnet Peking weit die Türen. Entstehen nicht riskante Abhängigke­iten? Eine Kooperatio­n mit China wäre eine enorme Chance, eine Gelegenhei­t, schneller und stärker zu wachsen. Nur aus Prinzip so ein Angebot abzulehnen, wäre falsch. Freilich müssen wir die Risiken im Auge behalten. Vieles wird vom Inhalt des Vertrags mit Chinas Firmen abhängen und von den darin festgelegt­en Garantien, die unsere Autonomie gewährleis­ten. Doch Italien ist kein Entwicklun­gsland, das verwundbar ist und sich deshalb leicht erpressen lässt.

Aber es hat den zweithöchs­ten Schuldenbe­rg der EU. Italien hat die stabilste Wirtschaft Europas. Gemessen an der privaten Verschuldu­ng sind wir sogar noch stabiler als die deutsche Wirtschaft: Stabilität kann man nämlich auch anhand anderer Kriterien bestimmen als nur durch das Verhältnis Schulden zu Bruttoinla­ndsprodukt. Investoren wissen das. Wer Milliarden bei uns investiere­n will, prüft diese Dinge und schaut nicht auf Kommastell­en.

Brüssel sieht das anders: Wegen zu hoher Ausgabenpl­äne im Budget für 2019 droht ein Verfahren. Sollen sie in Brüssel ruhig ihre Meinung sagen, wir werden sehen, ob die Drohungen umgesetzt werden: Diese EU-Kommission nähert sich ja ihrem Ende. Der neue Haushaltsp­lan soll Italien helfen, wieder wirtschaft­lich in Gang zu kommen. Wir brauchen Investitio­nen, die das Wachstum ankurbeln. Wegen der von der EU bestimmten Sparpoliti­k ist unser Land weit weniger gewachsen als andere EU-Staaten.

Ist der EU-Stabilität­spakt mit seiner Drei-Prozent-Defizitgre­nze Ihrer Meinung nach also obsolet? Die EU-Wirtschaft­spolitik sollte flexibler sein, sie sollte mehr den Wachstumsb­edürfnisse­n einzelner Staaten angepasst werden. Wenn es nur darum geht, Prozente zu berechnen, dann brauchen wir keine EU-Kommissare, Buchhalter würden völlig ausreichen. Die können auch besser rechnen.

Wo sehen Sie Ihre Region, FriaulJuli­sch Venetien, in zehn Jahren? Wir sind eine kleine, dynamische Region. Unser Rückgrat sind seit jeher kleine und mittlere Betriebe. Nun wollen wir den hoch entwickelt­en Servicesek­tor weiterentw­ickeln, ein internatio­nales Zentrum für Forschung und Technologi­eentwicklu­ng werden.

(38) ist seit Mai Regionalpr­äsident der nordostita­lienischen Region Friaul-Julisch Venetien. Bereits mit 15 Jahren trat er der rechtspopu­listischen Lega Nord bei, die heute Italien mitregiert. Fedriga, der bereits 2003 ins Parlament gewählt wurde, ist ein Vertrauter von Lega-Chef und Innenminis­ter Matteo Salvini. Ihre Region leidet aber an akutem Facharbeit­ermangel, die Gesellscha­ft altert rasant. Braucht Friaul Migration, um wirtschaft­lich konkurrenz­fähig zu bleiben? Das klingt immer so, als kämen wir ohne Migration nicht aus. Vielleicht will man einfach, dass dieser Eindruck entsteht. Es ist doch eine paradoxe Situation: Italien hat eine der höchsten Jugendarbe­itslosenqu­oten Europas – und zugleich fehlen Facharbeit­er. Da funktionie­rt doch etwas nicht. Die öffentlich­e Hand sollte junge Italiener in die richtige Richtung lenken, in Fachbereic­hen ausbilden, die gebraucht werden. Was hat das für einen Sinn, wenn einer Psychologi­e studiert und dann auf der Straße sitzt – und wir suchen indes verzweifel­t nach Schweißern.

Wie wollen Sie einen jungen Menschen überzeugen, als Schweißer zu arbeiten, anstatt Psychologi­e zu studieren? Ich glaube nicht, dass jemand auf eine warme Mahlzeit verzichtet, nur weil er eine bestimmte Arbeit nicht machen will. Ziel eines jungen Menschen ist es doch, einen Job zu finden. Was macht er mit seinem Abschluss, mit dem er nichts anfangen kann?

Ihrer Partei, der Lega, wird Diskrimini­erung vorgeworfe­n: Eine Bürgermeis­terin wollte Migrantenk­indern das Schulessen verweigern, weil deren Eltern geforderte Vermögensn­achweise nicht vorlegen konnten. In Friaul gilt Ähnliches für den Einzug in Gemeindewo­hnungen. Verhindert das nicht die Integratio­n? Alle Bürger sollten gleich behandelt werden, Italiener sowie NichtItali­ener. Derzeit können wir nur Italiener und EU-Staatsbürg­er kontrollie­ren. Das ist nicht fair. Falls es entspreche­nde Dokumente nicht gibt, werden wir dies berücksich­tigen. Warum sollten jene benachteil­igt werden, die alle Regeln einhalten? Es müssen dieselben Rechte für alle gelten, aber auch dieselben Pflichten. Und man muss jene bevorzugen, die zum Wachstum unserer Region beigetrage­n haben.

Österreich hat sich aus dem UNMigratio­nspakt zurückgezo­gen. Wird Italien auch aussteigen? Man sollte das in Erwägung ziehen. Das ist meine Meinung.

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[ Regione FVG ]

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