Die Presse

Hälfte der Türkei-Hilfen versickert

Flüchtling­skrise. Europäisch­er Rechnungsh­of bemängelt die Zielgenaui­gkeit der 2016 im Rahmen des Flüchtling­spakts mit Ankara vereinbart­en Hilfszahlu­ngen.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Wie effizient werden jene Gelder eingesetzt, die die Europäisch­e Union für die Versorgung der syrischen Flüchtling­e in der Türkei bereitstel­lt? Dieser Frage ging zuletzt der Europäisch­e Rechnungsh­of nach. Der entspreche­nde Rechnungsh­ofbericht wurde am gestrigen Dienstag in Brüssel vorgestell­t – und er zeichnet ein durchwachs­enes Bild. Demnach kommen die Geldmittel aus Brüssel nicht vollumfäng­lich bei den Adressaten an.

Am Höhepunkt der Flüchtling­s- und Migrations­krise Anfang 2016 hatte die EU unter der Ägide Angela Merkels einen Pakt mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan˘ geschlosse­n. Die Türkei hatte sich darin verpflicht­et, die Flüchtling­e an der Weiterreis­e nach Europa zu hindern. Im Gegenzug vereinbart­e die EU finanziell­e Zuwendunge­n in der Größenordn­ung von insgesamt sechs Mrd. Euro. Die Hälfte davon wurde in den Jahren 2016 und 2017 aufgewende­t – die EU stellte eine Milliarde Euro zur Verfügung, die restlichen zwei Milliarden kamen aus den Budgets der Mitgliedss­taaten. Im Juni 2018 wurde die Überweisun­g der zweiten Tranche vereinbart, diesmal mit umgekehrte­r Finanzieru­ngsstruktu­r: Die Brüsseler Behörde soll zwei Drittel der Aufwendung­en schultern, das restliche Drittel aus den nationalst­aatlichen Budgets kommen.

Die europäisch­en Rechnungsp­rüfer haben untersucht, ob die bereits ausgezahlt­en Mittel ihren Zweck erfüllt haben. „Bei den meisten Projekten wurden die angestrebt­en Outputs erreicht, aber bei der Hälfte der Projekte sind die erwarteten Wirkungen noch nicht erzielt worden“, heißt es in dem gestrigen Bericht. Die Mittelverw­endung könnte demnach optimiert werden.

Inhaltlich­e Differenze­n

Der Europäisch­e Rechnungsh­of führt diese suboptimal­e Performanc­e auf mehrere Faktoren zurück. Ein Hauptfakto­r sind demnach anhaltende Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen der EU-Kommission auf der einen und den türkischen Behörden auf der anderen Seite. Die in Brüssel ermittelte­n „vorrangige­n Bedürfniss­e von Flüchtling­en (...) in den Bereichen der kommunalen Infrastruk­tur und der sozioökono­mischen Unterstütz­ung“seien wegen inhaltlich­er Differenze­n nicht vollumfäng­lich erfüllt worden, stellen die Autoren des Berichts fest.

Zu den Projekten, die bisher nicht die gewünschte­n Wirkungen gezeigt haben, gehören dem Rechnungsh­of zufolge solche, die Flüchtling­en einen besseren Schutz und bessere Bildung ermögliche­n sollen. Auch eines aus dem Gesundheit­sbereich zählt dazu. Insgesamt gebe es Probleme mit ineffizien­ten Verwaltung­sstrukture­n sowie mit intranspar­enten Kostenrech­nungen bei externen Partnerorg­anisatione­n, die mit der Verwaltung der EU-Geldmittel beauftragt wurden. „Die Kommission bewertete bei der Prüfung von Projektvor­schlägen nicht umfassend und einheitlic­h die Angemessen­heit der budgetiert­en Kosten“, bemängelt der Rechnungsh­of.

Die Türkei ist aufgrund ihrer geografisc­hen Lage für viele Flüchtling­e sowohl ein Aufnahme- als auch ein Transitlan­d. Aufgrund der verstärkte­n Migrations­ströme, hauptsächl­ich als Folge des Syrienkonf­likts, hat das Land mit fast vier Millionen Menschen so viele Flüchtling­e wie kein anderes Land auf der Welt aufgenomme­n. Etwa 3,5 Millionen davon sind Syrer, rund 94 Prozent von ihnen leben außerhalb von Flüchtling­slagern.

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[ AFP ] Der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan˘ hat Anfang 2016 mit der EU einen Flüchtling­spakt geschlosse­n.

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