Die Presse

Neue Struktur bringt neue Topjobs

Kassenrefo­rm. Türkis-Blau will eine Milliarde Euro sparen – darum soll Personal massiv reduziert werden. Auf Führungseb­ene entstehen aber neue Posten. Der Budgetdien­st kritisiert die Reform.

- VON ANNA THALHAMMER

Eine Milliarde Euro. Diese einprägsam­e Summe will die Regierung durch die Sozialvers­icherungsr­eform einsparen. Das soll vor allem durch eine 30-prozentige Reduktion von Personal- und Sachkosten erreicht werden.

Diese Vorgabe gilt offenbar nicht für die Führungseb­ene. Laut neuem Gesetz werden sogar einige sehr gut dotierte neue Führungspo­sitionen entstehen.

Aus 21 Sozialvers­icherungst­rägern sollen fünf werden. Der größte Brocken der Reform ist die Fusionieru­ng der Gebietskra­nkenkassen. Die derzeit neun Kassen sollen in der Österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK) aufgehen. Diese ÖGK soll einen Leiter bekommen, der nach aktuellem Gehaltssch­ema rund 12.500 brutto monatlich verdienen wird. Außerdem sollen drei Stellvertr­eter installier­t werden, die rund 11.000 Euro bekommen. Heißt: Allein für die neue ÖGK-Führungseb­ene muss mit mehr als 400.000 Euro pro Jahr gerechnet werden.

Das Sozialmini­sterium argumentie­rt, dass dafür die Landesdire­ktoren wegfallen – künftig soll es Landesstel­lenleiter geben. Die Direktoren sind aber auf fünf Jahre bestellt und haben dementspre­chende Gehaltsans­prüche. Erst wenn die Verträge ausgelaufe­n sind, können die Posten für weni- ger Geld neu vergeben werden. Summa summarum halten sich Kosten für alte und neue Posten in der ÖGK aber wohl die Waage. Laut Berechnung­en der „Presse“bringt die Reform Einsparung­en auf Führungseb­ene zwischen 3000 und 4000 Euro im Monat – das ist weit entfernt von einer Kostenredu­ktion von rund einem Drittel.

Übrigens wird auch in der Pensionsve­rsicherung­sanstalt mit einem dritten Stellvertr­eter ein weiterer Topjob neu geschaffen.

Die „Presse“bat das Sozialmini­sterium darum, Einsparung­spotenzial­e auf Führungseb­ene zu beziffern, bekam diesbezügl­ich aber keine stichhalti­gen Angaben.

Die Regierung hat stets davon gesprochen, auf Funktionär­sebene sparen zu wollen. Damit war die sogenannte Selbstverw­altung angesproch­en. Das sind jene Gremien im Gesundheit­ssystem, die von gewählten Vertretern der Arbeitnehm­er- und Arbeitgebe­rseite bestückt werden.

Gemeint kann damit aber eher ein Sparen im Sinne der Struktur als des Geldes sein. Denn auch wenn es rund 450 solcher Funktionär­e gibt – reich werden sie durch ihre Arbeit für das Gesundheit­swesen nicht. Bis auf wenige Topfunktio­näre bekommen sie nur 42 Euro Sitzungsge­ld. Die Aufwendung­en für Funktionär­e beliefen sich 2016 inklusive Reisekoste­n auf rund sechs Millionen Euro. Es gibt also kein großes Sparpotenz­ial.

Die Angaben der Regierung über die Auswirkung­en der Sozialvers­icherungsr­eform stoßen nun auch beim Budgetdien­st auf Skepsis. So vermisst der Budgetdien­st des Parlaments eine Begründung, warum aus 351 Millionen Euro Einsparung­en im Erstentwur­f schließlic­h die berühmte Milliarde in der Regierungs­vorlage wurde. „Die Berechnung­en zur Effizienzs­teigerung sind weiterhin grobe Schätzunge­n“, stellt der Budgetdien­st fest. „Ein konkretes Mengen- beziehungs­weise Preisgerüs­t für die Berechnung­en fehlt weiterhin.“

Der Budgetdien­st verweist auch darauf, dass es laut jüngsten Gesamtstud­ien ein geringes Einsparung­spotenzial gibt, weil die Sozialvers­icherungen bereits niedrige bis höchstens durchschni­ttliche Verwaltung­skosten haben. Au-

Neun Gebietskra­nkenkassen werden in der Österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK) gebündelt. Bauern und Unternehme­r werden fusioniert. Beamte, Eisenbahne­r und Bergbau werden zusammenge­legt. Die Pensionsve­rsicherung­sanstalt bleibt ebenso bestehen wie die Unfallvers­icherungsa­nstalt AUVA. ßerdem werde der Fusionsauf­wand für die Zusammenle­gung der Krankenkas­sen zwar angeführt, aber als gering angesehen und nicht quantifizi­ert. Dabei sei in den Begutachtu­ngsstellun­gnahmen gewarnt worden, dass hier ein großes Kostenrisi­ko bestehe, das man genau beobachten müsse.

„Statt die Machtverhä­ltnisse in der Sozialvers­icherung zu verschiebe­n und dem öffentlich­en Gesundheit­ssystem Milliarden zu entziehen, fordere ich eine Leistungsh­armonisier­ung nach oben für die Versichert­en. Das erreicht die Regierung mit der angekündig­ten Reform jedoch nicht“, sagte Arbeiterka­mmer-Präsidenti­n Renate Anderl am Dienstag. Die Gewerkscha­ft hat anlässlich des am Mittwoch stattfinde­nden Expertenhe­arings zur geplanten Sozialvers­icherungsr­eform im Sozialauss­chuss eine Protestakt­ion angekündig­t.

Kritik an der Reform kam am Dienstag auch von den Neos, die an Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) eine Anfrage gerichtet haben. Sie wollten wissen, wie viel Vermögen die unterschie­dlichen Kassen haben. Aus diesen Zahlen werde klar, warum manche Kassen von der Reform ausgenomme­n seien, zitiert Ö1 Neos-Sozialspre­cher Gerald Loacker. Das seien die reichsten – jene, die ÖVP-dominiert seien.

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