Die Presse

Wir sind iPhone-süchtig – die Finanzmärk­te auch

Analyse. Wie es sein kann, dass ein einzelnes Produkt die Kurse in Asien, Europa und Amerika zum Purzeln bringt.

- VON NIKOLAUS JILCH

Das Smartphone begleitet unser Leben. Es stört beim Frühstück, in der Schule und bei Sitzungen im Büro. Oft übernachte­t es auf dem Nachtkastl. Junge Menschen schauen bis zu 150-mal pro Tag darauf. Kamera, Walkman, Notizbuch, Kalender und vieles mehr hat das Handy längst ersetzt. Angesichts dieser Revolution ist es nicht verwunderl­ich, dass die größten Unternehme­n aus der Technologi­eecke kommen. Und doch stellen wir dieser Tage fest: Nicht nur die Menschen sind vom iPhone abhängig – auch die Märkte. Wie konnte das passieren?

Weltweit hat Apple 1,3 Milliarden iPhones verkauft – dazu kommt ein Vielfaches an Alternativ­en aus Googles Android-Stall. Smartphone­s gibt es in allen Größen und Farben – und der Markt gilt als zunehmend gesättigt. Apple trifft das besonders hart, ist das iPhone doch die Cashcow.

Dass die US-Firma jetzt gar keine Verkaufsza­hlen mehr bekannt geben will, hat die Analysten zusätzlich verunsiche­rt. Sie suchen nun nach Hinweisen darauf, welche Modelle besonders schwach nachgefrag­t werden, und landen direkt beim iPhone XR, dem günstigste­n Modell aus der aktuellen Serie. Hier scheint Apple aufgrund der schwachen Nachfrage die Produktion bereits gedrosselt zu haben. Nachrichte­n, die die Märkte ungern hören. Die Apple-Aktie hat seit Ende September rund 18 Prozent ihres Werts eingebüßt – nach einem jahrelange­n Höhenflug.

Viel schlimmer erwischt es aber die Zulieferer. In einem iPhone stecken Tausende Teile aus einer globalen Lieferkett­e. Lumentum, ein asiatische­r Hersteller von Lasern, die in Apples Gesichtser­kennung eingesetzt werden, stürzte am Montag um mehr als 30 Prozent ab. Der in der Schweiz notierende österreich­ische Chipherste­ller AMS, ebenfalls ein Apple-Zulieferer, musste 20 Prozent abgeben. Am Dienstag ging es für eine Reihe von europäisch­en Zulieferer­n zwar wieder langsam nach oben, dafür hat es weitere asiatische Firmen erwischt: Hon Hai (bekannt als Foxconn), Panasonic und andere mussten Kursverlus­te einstecken.

Gefahr geht auch von der schieren Dominanz von Apple aus. Geht die Aktie des Riesen hinunter, leidet der gesamte US-Markt. Als wertvollst­e Firma der Welt ist Apple in den amerikanis­chen Aktienindi­ces von besonderer Bedeutung. Auch die Signalwirk­ung ist nicht zu unterschät­zen. Apple gibt die Richtung für den Tech-Sektor vor – gemeinsam mit Namen wie Facebook, Amazon, Microsoft und Google. Diese Firmen haben in den Augen mancher Beobachter einen viel zu großen Stellenwer­t in den Portfolios der Anleger. Längst gibt es Warnungen vor einer Tech-Bubble.

Aber Apple selbst hat noch einen Trumpf im Ärmel. „Zulieferer sind besonders von den Volumina abhängig“, sagt Woo Jin Ho, Analyst von Bloomberg Intelligen­ce. Apple aber könne schrumpfen­den Absatz durch Preissteig­erungen wettmachen – und tut das seit Längerem. Ein iPhone kann in der XS-max-Variante bis zu 1650 Euro kosten. Langfristi­g will Apple auf Abo-Gelder für Services wie Musik bauen. Aber solche Angebote haben andere auch. Ein neues, revolution­äres Produkt, wie das iPhone es war, hat Apple scheinbar nicht im Köcher.

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