Wir sind iPhone-süchtig – die Finanzmärkte auch
Analyse. Wie es sein kann, dass ein einzelnes Produkt die Kurse in Asien, Europa und Amerika zum Purzeln bringt.
Das Smartphone begleitet unser Leben. Es stört beim Frühstück, in der Schule und bei Sitzungen im Büro. Oft übernachtet es auf dem Nachtkastl. Junge Menschen schauen bis zu 150-mal pro Tag darauf. Kamera, Walkman, Notizbuch, Kalender und vieles mehr hat das Handy längst ersetzt. Angesichts dieser Revolution ist es nicht verwunderlich, dass die größten Unternehmen aus der Technologieecke kommen. Und doch stellen wir dieser Tage fest: Nicht nur die Menschen sind vom iPhone abhängig – auch die Märkte. Wie konnte das passieren?
Weltweit hat Apple 1,3 Milliarden iPhones verkauft – dazu kommt ein Vielfaches an Alternativen aus Googles Android-Stall. Smartphones gibt es in allen Größen und Farben – und der Markt gilt als zunehmend gesättigt. Apple trifft das besonders hart, ist das iPhone doch die Cashcow.
Dass die US-Firma jetzt gar keine Verkaufszahlen mehr bekannt geben will, hat die Analysten zusätzlich verunsichert. Sie suchen nun nach Hinweisen darauf, welche Modelle besonders schwach nachgefragt werden, und landen direkt beim iPhone XR, dem günstigsten Modell aus der aktuellen Serie. Hier scheint Apple aufgrund der schwachen Nachfrage die Produktion bereits gedrosselt zu haben. Nachrichten, die die Märkte ungern hören. Die Apple-Aktie hat seit Ende September rund 18 Prozent ihres Werts eingebüßt – nach einem jahrelangen Höhenflug.
Viel schlimmer erwischt es aber die Zulieferer. In einem iPhone stecken Tausende Teile aus einer globalen Lieferkette. Lumentum, ein asiatischer Hersteller von Lasern, die in Apples Gesichtserkennung eingesetzt werden, stürzte am Montag um mehr als 30 Prozent ab. Der in der Schweiz notierende österreichische Chiphersteller AMS, ebenfalls ein Apple-Zulieferer, musste 20 Prozent abgeben. Am Dienstag ging es für eine Reihe von europäischen Zulieferern zwar wieder langsam nach oben, dafür hat es weitere asiatische Firmen erwischt: Hon Hai (bekannt als Foxconn), Panasonic und andere mussten Kursverluste einstecken.
Gefahr geht auch von der schieren Dominanz von Apple aus. Geht die Aktie des Riesen hinunter, leidet der gesamte US-Markt. Als wertvollste Firma der Welt ist Apple in den amerikanischen Aktienindices von besonderer Bedeutung. Auch die Signalwirkung ist nicht zu unterschätzen. Apple gibt die Richtung für den Tech-Sektor vor – gemeinsam mit Namen wie Facebook, Amazon, Microsoft und Google. Diese Firmen haben in den Augen mancher Beobachter einen viel zu großen Stellenwert in den Portfolios der Anleger. Längst gibt es Warnungen vor einer Tech-Bubble.
Aber Apple selbst hat noch einen Trumpf im Ärmel. „Zulieferer sind besonders von den Volumina abhängig“, sagt Woo Jin Ho, Analyst von Bloomberg Intelligence. Apple aber könne schrumpfenden Absatz durch Preissteigerungen wettmachen – und tut das seit Längerem. Ein iPhone kann in der XS-max-Variante bis zu 1650 Euro kosten. Langfristig will Apple auf Abo-Gelder für Services wie Musik bauen. Aber solche Angebote haben andere auch. Ein neues, revolutionäres Produkt, wie das iPhone es war, hat Apple scheinbar nicht im Köcher.