1913? Da war doch noch etwas!
Der neue Rowohlt-Chef Florian Illies legt einen zweiten Teil seiner kurzweiligen Jahres-Montage vor.
Er hätte auch eine Chronik über 1918 schreiben können. Das Jahr, in dem der Erste Weltkrieg und das Deutsche Kaiserreich zu Ende gingen, den Vorabend der Ausrufung der Weimarer Republik. Doch das Jahr 1913 hat den Autor und früheren Journalisten Florian Illies, ab Jänner Verlagschef von Rowohlt, nicht losgelassen. Vor fünf Jahren erschien seine erste, erfreulich unterhaltsame Jahres-Chronik über das letzte Jahr vor Kriegsausbruch. Nun legt er mit „1913. Was ich unbedingt noch erzählen wollte“(Fischer Verlag, 305 Seiten) eine Fortsetzung vor. Und berichtet wieder in diesem speziell-lieblichen Plauderton von den Künstlern, Gelehrten und Intellektuellen dieser Zeit, von ihren dunklen Vorahnungen und ihren rückblickend banal erscheinenden Sorgen.
Wien und andere Städte der Habsburgermonarchie Österreich kommen auch diesmal auffallend oft vor. Egon Schiele malt in der Hietzinger Hauptstraße immer wieder die Wally, Hugo von Hofmannsthal spaziert durch Wien, Sigmund Freud denkt nach über den „Vatermord“. Kaiser Franz Joseph wünscht sich zum Mittagessen am ersten Weihnachtsfeiertag ein Wiener Schnitzel – und bekommt es. Sogar die letzte Notiz zu diesem Jahr spielt in Wien. Am Silvesterabend beginnen in Schloss Hetzendorf bei der österreichischen Erzherzogin Zita die Wehen. Erst drei Tage später, am 3. Jänner, wird ihr zweites Kind, ihre erste Tochter Adelheid, geboren.
Vielleicht liegt es an den vielen Veranstaltungen und Diskussionen zum 100. Geburtstag der Republik Österreich, die hinter uns liegen, und an den Gedenkfeiern zu den Novemberpogromen 1938, dass die neuen Episoden aus dem Jahr 1913 viel ferner und surrealer wirken als im ersten Band. Viele Geschichten hat Illies schon darin zu erzählen begonnen; dass sich etwa die drei späteren Diktatoren Stalin, Tito und Hitler im Jänner 1913 ein paar Wochen zeitgleich in Wien aufhielten, einander womöglich zufällig auf der Straße begegnet sind. Wir lesen wieder von Rilke, Proust und Schnitzler, von Kafka, Kokoschka und Alma Mahler. Offenbar hat Illies so viel Material gesammelt, das niedergeschrieben werden sollte.
Manche Anekdote ist banal, im besten Fall lustig, einige wenige sind wirklich interessant und informativ. Zum Beispiel die zu den Titelbildern beider Bücher. Das Cover des neuen Bandes zeigt leicht verschwommen, aber in Farbe Lotte und Edeltrud Kühn, die Töchter des deutschösterreichischen Fotografen Heinrich Kühn. Er hat die beiden im Garten seines Hauses bei Innsbruck erstmals mit Farbe fotografiert und damit eine kleine Revolution ausgelöst. Auch das Titelbild des ersten Bandes stammte von Kühn und zeigt das Kindermädchen seiner Töchter. Wer Illies erstes „1913“mochte, wird auch mit dem zweiten Teil zufrieden sein. Wer schon damals mehr Tiefgang suchte, sollte es erst gar nicht zur Hand nehmen. (awa)