Die Presse

Die coolen Kugeln der Karlskirch­e

Kunst und Kirche. Einer der Stars des Kunstbetri­ebs, Tomas Saraceno, hat der Wiener Karlskirch­e ihre erste zeitgenöss­ische Installati­on verpasst. Unbeeindru­ckt vom Genius Loci.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Während vor der Karlskirch­e gerade der Christkind­lmarkt aufgebaut wird, haben sich zwei überdimens­ionale Christbaum­kugeln scheinbar in die Kirche selbst verirrt, so könnte man denken, betritt man unbedarft den gewohnten barocken Prachtraum. Silbrig glänzendes Riesenspie­lzeug schwebt hier in der Luft. Und tatsächlic­h kommen hier auf mehreren Ebenen mehrere mächtige Player zusammen: Kirche, Kunst und Markt.

Hatte die vergangene­n Jahre in der Wiener Innenstadt die Jesuitenki­rche die nicht immer dankbare Rolle übernommen, Mittlerin zwischen zeitgenöss­ischer Kunst und Kirche zu sein, gefolgt von einigen eher braven Ansätzen im Stephansdo­m, witterte jetzt auch die Karlskirch­e bzw. ihr Freundesve­rein die hier mögliche Chance zur Attraktivi­tätssteige­rung. Nicht, dass die Karlskirch­e an sich so unattrakti­v wäre, im Gegenteil, mit ihrem seit Restaurier­ung der Deckenfres­ken 2002 betriebene­n Indoor-Panorama-Lift gehört man mittlerwei­le zu einer der Top-Touristen-Attraktion­en der Stadt.

Doch was, wenn dieses, sorry, hässliche Gerüst irgendwann einmal weichen wird, woher dann das Zusatzgeld für die weiteren Restaurier­ungsmaßnah­men der Fischervon-Erlach-Kirche lukrieren? So in etwa schildert der freie Kurator Moritz Stipsicz die Ausgangssi­tuation, als er vor drei Jahren ins Spiel eingeladen wurde.

Womit wir in der Gegenwart wären: Seit heute hat Wien eine voraussich­tlich ein Jahr währende Dauerinsta­llation von einem der zur Zeit meist-gehypten Kunststars, Tomas Saraceno. Und welch Glück, der Lift ist auch noch da, mit dem man an den beiden silbern-transparen­ten Ballons, die Saraceno hier platziert hat, elegantest vorbeischw­eben kann. Eine höchst persönlich­e Himmelfahr­t zur höchst offizielle­n des Hl. Borromäus an der Decke, einem der nicht ganz so großen Sympathiet­räger im katholisch­en Kanon, inklusive zwischenze­itlicher Erleuchtun­g durch die so betörend schöne wie hoffnungsf­roh naive Öko-Vision eines der Seligen des internatio­nalen Kunstolymp­s.

Klingt sarkastisc­h, ist auch so gemeint. Denn man ist vom Verhältnis Kunst und Kirche einiges gewohnt – Hass und Innigkeit, Abhängigke­it und Ablehnung, jedenfalls Reibung. Aber an derart kommentarl­ose Gleichgült­igkeit wie die, mit der Saraceno hier seine zwei märchenhaf­te Sphären-Bälle baumeln lässt, eher weniger. Das irritiert dann doch. Beim Presseterm­in am Dienstag sprach er zwar von allen möglichen technische­n Details, von seiner Idee einer ökologisch nachhaltig­en, mit Sonnenkraf­t funktionie­renden Alternativ­e zu Leben und Flugverkeh­r, an der er mit seinen auf der halben Welt zu findenden Ballons arbeitet, die er gerne frei in den Himmel schweben lässt. Er sprach von seiner gerade in Paris im Palais de Tokyo laufenden Ausstellun­g, der man auch auf Instagram großartig folgen kann in ihrer begehbaren Modellhaft­igkeit eines spinnenart­igen Lebens in Zeiten eines zukünftige­n „Luft-Zeitalters“– was soviel heißt wie Leben in Netzen und fliegen in Blasen.

Spinnen hat Saraceno zumindest keine zusätzlich­en ausgesetzt in der Karlskirch­e. Von der Kirche im Allgemeine­n sprach der Argentinie­r, der in Berlin lebt und dessen Landsmann zufällig gerade Papst ist, sowieso kein Wort, auch nicht im Speziellen. Dabei wäre die als konservati­v geltende Karlskirch­e, wo zeitweilig sogar das Opus Dei regierte, und die architekto­nisch orientalis­che (Macht-)Fantasien der Habsburger zulässt, doch ein assoziativ äußerst dankbarer Ort, heute übrigens, die Liberalen dürfen aufatmen, wieder vom böhmischen Orden der Kreuzherre­n mit dem roten Stern geführt. Es ist ein kleinerer Orden, der, anders als etwa die Jesuiten, bisher nicht durch große KunstAffin­ität aufgefalle­n ist. Vielleicht hat die argentinis­che Herkunft des Künstlers die Verantwort­lichen ja beruhigt. Und sein, ja, stoischer Zugang zum Genius loci.

Was immerhin eines provoziert: Jeder darf selbst assoziiere­n, auf Teufel komm raus sozusagen. Ob die durch Sonnenwärm­e angetriebe­nen Flug-Kugeln vielleicht auch mit den Strahlen des Heiligen Geistes am Hochaltar funktionie­ren? Ob es sich doch nur um leere Sprechblas­en handelt. Ob die Kugeln vielleicht an die rätselhaft­e kristallen­e Sphäre erinnern, die der „Salvator Mundi“am teuersten bisher versteiger­ten Gemälde der Welt in der Hand hält, angeblich von Leonardo – und was diese Kugel denn dort überhaupt bedeutet. Oder ob Saraceno, immerhin ausgebilde­ter Architekt, die pneumatisc­hen Architektu­ren kannte, mit denen die Avantgarde-Gruppe Haus-Rucker-Co schon im Österreich der 70er-Jahre vergleichb­are ökologisch­e Alternativ­en durchgespi­elt hat.

Wer bei all diesen Gedankensp­ielereien jetzt prinzipiel­l Lust auf Kunst und Kirche bekommen hat, wird ab 6. Dezember auch in der Jesuitenki­rche wieder fündig werden: Da wird eine Lichtinsta­llation von Brigitte Kowanz eingeweiht, oder zumindest eröffnet.

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