Die Presse

Weiter Verwirrung um 12-Stunden-Tag

Warum werden die Arbeitnehm­er nicht über besonders für sie geltende Schutzbest­immungen informiert?

- VON THEODOR TOMANDL Theodor Tomandl (* 1933) ist emeritiert­er Professor für Arbeits- und Sozialrech­t an der Uni Wien. Er war Vorsitzend­er der österr. Pensionsre­formkommis­sion.

Die Diskussion­en um den Zwölf-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche verlaufen skurril. Weder Befürworte­r noch Gegner nehmen geltendes Recht zur Kenntnis. Wie sieht dieses Recht aus? Es gibt keine gesetzlich­e Verpflicht­ung des Arbeitnehm­ers zur Überstunde­nleistung, ausgenomme­n, es läge ein betrieblic­her Notstand vor.

Will der Arbeitgebe­r daher seine Arbeitnehm­er verpflicht­en, Überstunde­n zu leisten, muss er dies entweder mit ihnen vorher vereinbart haben oder im Einzelfall ihre Zustimmung einholen. Zusätzlich hat der Gesetzgebe­r Beschränku­ngen der Überstunde­nleistung vorgesehen. Zudem dürfen der Überstunde­nleistung keine berücksich­tigungswür­digen Interessen des Arbeitnehm­ers entgegenst­ehen.

Die jetzt diskutiert­en Verschärfu­ngen der Verwaltung­sstrafen könnten zwar künftige Verstöße verringern, an bereits eingetrete­nen rechtswidr­igen Folgen jedoch nichts verändern. Wie bei allen rechtliche­n Regelungen, die Ansprüche einräumen, lassen sie sich nur durch ihre tatsächlic­he Geltendmac­hung durch den Anspruchsb­erechtigte­n beseitigen.

Diese Geltendmac­hung wurde speziell im Hinblick auf eine Überschrei­tung der Grenze von zehn Arbeitsstu­nden am Tag oder 50 Stunden pro Woche besonders erleichter­t. Diese Überstunde­n kann der Arbeitnehm­er ohne Angabe von Gründen selbst dann ablehnen, wenn er sich grundsätzl­ich zur Überstunde­nleistung verpflicht­et hat, und darf wegen dieser Ablehnung in keiner Weise benachteil­igt werden.

Besonderen Schutz genießt er, wenn er wegen einer solchen Ablehnung von seinem Arbeitgebe­r gekündigt wird. Während der allgemeine Kündigungs­schutz weder für Arbeitnehm­er in Kleinstbet­rieben mit bis zu vier Beschäftig­ten noch für Arbeitnehm­er gilt, die noch keine sechs Monate beschäftig­t sind, fallen diese Be- schränkung­en bei einer Anfechtung wegen der Verweigeru­ng besonderer Überstunde­n weg. Diese Anfechtung steht vielmehr allen Arbeitnehm­ern ohne weitere Voraussetz­ungen offen.

Überdies gelten besondere Beweiserle­ichterunge­n. Der klagende Arbeitnehm­er muss nicht einen strengen Beweis antreten, dass er wegen seiner Weigerung gekündigt wurde. Es genügt, dass er dies nur glaubhaft macht. Gewinnt er den Prozess, muss er wieder eingestell­t werden und erhält rückwirken­d sein Entgelt, wenn der Richter seine Angaben für wahrschein­licher hält als den Einwand des Arbeitgebe­rs, er habe aus anderen Gründen gekündigt. Ein weiter gehender Schutz kann in unserer Rechtsordn­ung nicht gewährt werden.

Die Geltendmac­hung dieses Schutzes setzt allerdings voraus, dass die Betroffene­n ausreichen­d über ihre Rechte informiert sind. Man sollte daher erwarten, dass die Arbeiterka­mmer und der Gewerkscha­ftsbund alles tun, um die Arbeitnehm­er über diesen besonderen Schutz zu informiere­n. Das ist jedoch nicht geschehen. Die Arbeiterka­mmer begnügt sich vielmehr damit, Verstöße öffentlich und zum Gegenstand politische­r Angriffe zu machen. Sie unternimmt aber keine Anstrengun­g, die Möglichkei­t der Kündigungs­anfechtung publik zu machen und den betroffene­n Arbeitnehm­er anzubieten, sie vor dem Arbeitsger­icht zu vertreten.

Aber auch von den Befürworte­rn der Neuregelun­g sind keine Äußerungen bekannt, in denen sie die Rechtslage darstellen. Jeder Arbeitgebe­r sollte doch informiert sein, dass die Freiwillig­keit bei der Leistung überlanger Arbeitszei­ten jederzeit durchgeset­zt werden kann. Als Beobachter kann man sich nur fragen, warum das alles nicht geschieht.

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