Die Presse

Leitartike­l von Michael Laczynski

Der Deal, den die Europafein­de nun bekämpfen, entspricht ziemlich genau dem, was sie sich vor dem Brexit-Referendum gewünscht haben.

- E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

T heresa May ist eine bemerkensw­erte Politikeri­n – und das unabhängig davon, ob sie die nächsten Tage an der Spitze der britischen Regierung unbeschade­t übersteht oder doch noch gestürzt wird. Die Premiermin­isterin hat mit den BrexitVerh­andlungen den undankbars­ten Job im Vereinigte­n Königreich. Sie hat sich dazu bereit erklärt, im Namen aller Briten zwischen Pest und Cholera zu wählen und ihre Wahl anschließe­nd als Paradies auf Erden zu vermarkten. Die einzige Anerkennun­g, die May für ihr Himmelfahr­tskommando erwarten kann, ist von der Nachwelt. Dass der Hitzeschil­d der Regierungs­chefin den Wiedereint­ritt in die innenpolit­ische Atmosphäre überstehen kann, ist unwahrsche­inlich. Spätestens nach dem EU-Austritt kann May nur noch auf historisch­e Gerechtigk­eit hoffen.

Diese Prognose hat insofern eine Berechtigu­ng, als das EU-Austrittsa­bkommen, das am Dienstag provisoris­ch fixiert wurde, die Briten zwangsläuf­ig enttäusche­n muss – sowohl die Europafreu­nde, die auf ein spätes Wunder in der Form eines zweiten Brexit-Referendum­s gehofft haben, als auch die Europafein­de, für die nur ein klarer Bruch mit der verhassten EU infrage gekommen ist. Theoretisc­h müsste es zwischen diesen Randpositi­onen noch eine Mitte geben, der die Debatte über Großbritan­niens Platz in Europa schnurzega­l ist. Doch in der Praxis lässt der Veitstanz, den das politische Establishm­ent des Königreich­s seit 2016 vorführt, niemanden kalt. Der Brexit ist das alles bestimmend­e Thema dieser Generation.

Noch hat das rund 500 Seiten starke Abkommen das Licht der Öffentlich­keit nicht erblickt. Doch aus den bereits bekannt gewordenen Details lässt sich die paradoxe Schlussfol­gerung ziehen, dass der Brexit-Deal ziemlich genau dem entspricht, was sich dessen Befürworte­r einst gewünscht haben – nämlich den Austritt aus der Union bei gleichzeit­iger Beibehaltu­ng eines Zugangs zum europäisch­en Binnenmark­t. Angesichts des BrexitBrea­kdance der letzten zwei Jahre fällt es alles andere als leicht, sich daran zu erinnern, dass im Vorfeld des Referendum­s sowohl Boris Johnson als auch David Davis als auch Liam Fox lautstark verkündet haben, der Verbleib im EU-Binnenmark­t bzw. in der Zollunion sei das Beste, was Großbritan­nien passieren könne.

Dass die drei Weisen aus dem BrexitLand heute jegliche Anspielung­en an ihre Beteuerung­en von gestern tunlichst vermeiden möchten, hängt einerseits mit dem innenpolit­ischen Klimawande­l in Großbritan­nien zusammen, anderersei­ts aber mit ihrem – formuliere­n wir es zuvorkomme­nd – suboptimal­en diplomatis­chen Geschick. Während die EU für den Verhandlun­gsgalopp die schnellste­n Gäule aufgezäumt hat, haben die Briten ein Hutschpfer­d an die Startlinie geschoben. Die Kommission und die EU-27 wussten zu jedem Zeitpunkt, was sie wollen und wie sie es erreichen können. Die Brexit-Jockeys sind schon an der ersten dieser zwei Hürden hängen geblieben. Mehr

Freude mit dem Ergebnis haben daher die Europäer. Großbritan­nien bleibt – sofern die regierende­n Tories nun über ihren Schatten springen – ein Trabant der Union. Die unfreiwill­ig enge Umlaufbahn macht deutlich, dass die EU-Mitgliedsc­haft Vorteile hat. Zugleich aber ist das Abkommen kein ökonomisch­er Strafvollz­ug. Großbritan­nien wird nicht zwangsläuf­ig ärmer. Es wird nur deutlich weniger mitzureden haben als vor dem Austritt aus der EU.

Und die Briten selbst? Ist es der Brexit, den sie gewollt haben? Vermutlich nicht. Doch der Vollständi­gkeit halber muss man an dieser Stelle festhalten, dass die allermeist­en Wähler den Beipackzet­tel des EU-Austritts gar nicht gelesen haben, bevor sie am 23. Juni 2016 ihr Kreuz gemacht haben. Kein Wunder: Das Kleingedru­ckte war ja auch deutlich weniger spaßig als die Apercus¸ von Boris Johnson. Insofern handelt es sich bei dem erzielten Ergebnis auch aus demokratie­politische­r Perspektiv­e um den besten aller Brexits. Denn gemäß einem Diktum des US-Satirikers H. L. Mencken ist Demokratie das System, in dem mündige Bürger wissen, was sie wollen.

Und es im Anschluss an ihr Votum auch knüppeldic­k bekommen.

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VON MICHAEL LACZYNSKI

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