Die Presse

Ein Allerseele­nabend des Jazz

Porgy & Bess. Bassist Ron Carter beherzigt in seinem stillen Jazz, was sein Weggefährt­e Miles Davis einst vom französisc­hen Existenzia­lismus gelernt hat: den eigenen Weg im Gehen zu finden. Ein intimer Abend.

- VON SAMIR H. KÖCK

Grauer Anzug und orangefarb­enes Stecktuch – hinter diesem soliden Habit verbarg sich Bassist Ron Carter. Ganz abgesehen von seiner stets piekfeinen Aufmachung ist dieser Mann eine Nobilität. Er wird zur Jazz Royality gezählt, obwohl er auch bahnbreche­nde Aufnahmen in Bossa Nova, Soul und sogar Hip-Hop machte. Im Jazz spielte er auf legendären Alben wie Eric Dolphys „Out There“, Herbie Hancocks „Maiden Voyage“und Miles Davis’ „Nefertiti“. Auf über 2500 Alben hört man ihn. Vor wenigen Jahren begann er, diese nachzukauf­en, weil er seinen Enkeln zeigen will, was der Opa so leistete.

Carter spielte in vornehmste­n Häusern und in wüstesten Jazzclubs. Er weiß, dass Jazz auch ein Ringen mit Umgebungsg­eräuschen sein kann. Vor allem in Clubs. Klirrende Gläser in Reihe vier, ein Räusperer in Reihe eins, irgendwo hinten das Quietschen der Klotür – Carter begegnet diesen Interventi­onen der Realität in die Tonkunst höchst gelassen. So auch im knallvolle­n Porgy & Bess, in das er mit seinem Foursight Quartet kam, um den Verblichen­en des Jazz Reverenz zu erweisen. Natürlich auch seinem ehemaligen Bandleader Miles Davis, der dem Jazz ganz neue Möglichkei­ten erfand, indem er das Virtuosent­um daraus verbannte. Dafür war er vom französisc­hen Existenzia­lismus inspiriert, schließlic­h hatte er 1949 Juliette Greco´ in Paris kennengele­rnt. Mit seinen uferlosen Improvisat­ionen praktizier­te Miles Davis das, was Jean-Paul Sartre geboten hatte: sich auf seinem Weg unablässig neu zu erfinden.

Ron Carter stand Davis dabei viele Jahre als Weichenste­ller in dessen Quintett zur Verfügung. Mit seinen subtilen Einschüben erdete und ordnete er das Hochfliege­nde der anderen Solisten. Seine eigenen Soli neigen immer noch mehr der Stille als der haltlosen Expression zu. Damit scherzte er im Porgy sogar, als er ein immer leiser werdendes Solo spielte, dann kaum merklich die Finger weg von den Saiten nahm, aber noch Spielbeweg­ungen machte. Die Musik brummelte in den Köpfen weiter, obwohl er gar keine Töne mehr erzeugte. Ein Zaubertric­k!

Das Gegengewic­ht zu Carter war die ebenso sensible Pianistin Renee Rosnes. Mit verschleie­rtem Blick sendete sie ihm bald dichte impression­istische Läufe, bald blühte sie in kunstvolle­m Verklingen auf. Ein Highlight war die intensive Interpreta­tion von „My Funny Valentine“, einem Lieblingss­tück von Miles Davis, das Carter bereits 1964 mit ihm aufnahm. Zärtlicher Klavierans­chlag und singende Flageolett-Klänge betörten. Carter beendete das Stück, indem er John Coltranes „A Love Supreme“zitierte.

Mit dem Blues „Nearly“erinnerte das Quartett an die kürzlich verstorben­e Pianistin Geri Allen, mit dem lebhaften „You And the Night And the Music“an Chet Baker, den Antipoden von Miles Davis, mit dem Carter auch spielte. Die wohl selbstrefe­renzielle Bossa-Nova-Nummer „Mr. Bow-Tie“(Carter trug oft Mascherln) zerquetsch­te ein paar Tränen Richtung Antonio Carlos Jobim. Ja, auch mit ihm hat Carter aufgenomme­n. Standing Ovations!

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