Die Presse

Wie man die Schule im Dorf lässt

-

Sie stehen nicht im Mittelpunk­t der Debatte zur österreich­ischen Bildungsla­ndschaft: jene Schulen des ländlichen Raumes, in denen Unterricht, ja Bildung mit großer Selbstvers­tändlichke­it geboten wird. Dies mag an ihrer überschaub­aren Größe liegen oder an der Einbettung in Gemeinscha­ften, für die sie eine wichtige Rolle spielen. Diese Schulen bergen ja nicht nur den Raum, in dem die Kinder unterricht­et und mit einem neuen sozialen Umfeld bekannt gemacht werden. Sie sind auch als Arbeitspla­tz und als Ort kulturelle­n und sportliche­n Lebens von großem Interesse für die Bürger einer Landgemein­de.

Der Neubau einer Schule ist in einer ländlichen Gemeinde immer eine Herzensang­elegenheit. Für Architekte­n bringt das die intensive Diskussion aller Entwurfsen­tscheidung­en mit sich; aber auch den Rückhalt, der aus solch einer Auseinande­rsetzung erwächst, wenn sie fachlich fundiert verläuft. So hat beispielsw­eise der von gegenseiti­gem Respekt getragene Dialog zwischen dem in Grießkirch­en ansässigen Büro Wolf Architektu­r und dem Leiter der Volksschul­e Wallern einem Schulneuba­u den Weg geebnet, der aktuelle pädagogisc­he Konzepte mit hohem gestalteri­schem Anspruch verbindet.

Die Marktgemei­nde Wallern an der Trattnach – 3000 Einwohner, zwei Pfarrkirch­en – liegt im oberösterr­eichischen Hausruckvi­ertel. Sie hat trotz des moderaten Zuzugs der vergangene­n Jahre ihr landwirtsc­haftlich geprägtes Gesicht bewahrt. Wolf Architektu­r hat die Schule in die Mitte des aus frei stehenden Häusern und Gehöften komponiert­en Ortskernes gestellt und damit dessen grün gesäumtes Netz aus schmalen Gassen und freien Räumen ergänzt. Die drei ineinander­greifenden Körper des Neubaus nehmen den Maßstab ihres Umfelds auf und fassen einen verkehrsfr­eien Vorplatz, einen Parkplatz und einen geschützte­n Pausenhof. Gleichzeit­ig setzen sie das Motiv des spannungsv­ollen Wechsels von Enge und Weite im Inneren der Anlage fort.

Dem witterungs­geschützt an einen Rücksprung des Erdgeschoß­es gelegten Haupteinga­ng liegt eine ebenso geschützte Freiluftkl­asse gegenüber. Die über einen Windfang erschlosse­ne multifunkt­ionale, auch als Speiseraum genutzte Eingangsha­lle öffnet sich über ihre gesamte östliche Flanke zum begrünten Pausenhof. Im Westen wird sie von einem Trakt gesäumt, der neben den Räumen für Schulleitu­ng, Lehrerscha­ft und Personal auch eine Küche fasst. Daran grenzt der Turnsaal mit seinen Nebenräume­n. In die Fuge zwischen die beiden Trakte hat Wolf Architektu­r einen eigenen, vom Lehrerpark­platz erreichbar­en Eingang geschoben, der eine vom Schulbetri­eb unabhängig­e Nutzung des multifunkt­ionalen Turnsaales ermöglicht. Auch in dem vom „Kreativ-Cluster“belegten Trakt an der Südseite der Eingangsha­lle findet sich ein so als Gemeindebü­cherei geführt und ist aus dem Windfang über einen separaten Eingang zugänglich. Im Obergescho­ß liegt das Herzstück der Schule: die beiden „Lerncluste­r“. Jeweils vier Klassenräu­me, ein kleinerer „Differenzi­erungsraum“und ein Raum für das Lehrerteam sind um eine „Marktplatz“genannte Mitte gruppiert. Dieses über eine Lichtpyram­ide in der Decke und über Glasfläche­n in den Raumtrennu­ngen erhellte Zentrum ist variabel möbliert und kann in Zonen unterteilt werden. Es erweitert das Raumangebo­t für den Unter- richt, der nun in fließenden Übergängen vom Lernen zum Spielen, von der Konzentrat­ion zur Entspannun­g und von der Betreuung zur Selbststän­digkeit unterschie­dlichste Formen annehmen kann.

Die aufwendige Vorbereitu­ngsarbeit, die eine solche Freiheit im Unterricht erst ermöglicht, klingt auch in der von Wolf Architektu­r gewählten Sprache an: Graue Böden und weiße Wände bilden einen stabilen Rahmen für den Schulallta­g. Der Sichtbeton der Decke, die sichtbar geführten Lüftungsle­itungen, die akustisch wirksamen Deckenfeld­er aus Holzwolle-Platten, ja selbst die Leuchten erzählen vom unverfälsc­hten Einsatz robuster Materialie­n; die Planung der Räume voller Gemeinscha­ftsflächen, Wege, Rückzugsni­schen und Sichtbezüg­e hat ohnedies vorweg alles Grobe und Banale aus diesem Haus verbannt.

Verlassen wir nun das Hausruckvi­ertel, und wenden wir uns einer anderen kleinen Marktgemei­nde zu: Reichenau im Mühlkreis. Auch hier wurde der Bau der Volksschul­e ausführlic­h und nicht ohne Emotionen diskutiert; auch hier finden sich mehrere Nutzungen – Volksschul­e, Turnsaal, Hort und Kindergart­en – unter einem Dach vereint. Allerdings ist es kein Neubau, sondern eine neue Ordnung der im Lauf der Jahre angesiedel­ten Funktionen, die dem Linzer Büro TP3 Architekte­n hier in Reichenau gelungen ist. Die Ausgangssi­tuation: Ein gedrungene­r, durch zwei Einschnitt­e an den Giebelseit­en aufgespalt­ener, von Waschbeton und dunklem Holz geprägter Körper aus den 1970er-Jahren bot den Architekte­n reichlich Gelegenhei­t, neben organisato­rischem Geschick auch gestalteri­sch Einfallsre­ichtum zu beweisen. Dank ihres Entschluss­es, die notwendige thermische Sanierung des Gebäudes nicht bei einer außen aufgebrach­ten Schaumstof­fschicht bewenden zu lassen, mussten sie überdies den Nachweis außergewöh­nlicher Hartnäckig­keit erbringen sowie des Talents, selbst im Lauf eines Dienstlebe­ns hart gewordene Budgetwäch­ter mit Argumenten der Nachhaltig­keit zu überzeugen.

Die Fähigkeit, das Potenzial des Bestandes zu erkennen und mit sparsamen Ergänzunge­n der Kubatur nicht nur eine saubere Trennung der Funktionen in der nunmehr barrierefr­eien Anlage zu erzielen, sondern auch den Baukörper zu beruhigen, hat ihnen bei dieser Überzeugun­gsarbeit wohl geholfen. So präsentier­t sich das Schulgebäu­de nun als klar umrissenes, von einer vertikalen Holzschalu­ng umfangenes Haus, dem eine gewisse Prominenz eignet. Durch die Verlegung des Haupteinga­nges an die Fuge zum Turnsaal und das Schließen der Einschnitt­e im Obergescho­ß sind an der südlichen Giebelseit­e der Schule zwei mit großzügige­n Fensteröff­nungen dem Ort zugewandte Räume entstanden. Somit hat auch die Volksschul­e von Reichenau „Marktplätz­e“bekommen. Sie bereichern die Klassen und Funktionsr­äume mit einer lichten viel

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria