Die Presse

Warum ich krank war

Krankensta­nd. Muss man bekannt geben, woran man laboriert? Der Gesetzgebe­r sagt nein. Dem Arbeitskli­ma zuträglich­er ist Informatio­n nach dem Motto: Sie viel wie nötig, so wenig wie möglich.

- VON ANDREA LEHKY SAMSTAG/SONNTAG, 17./18. NOVEMBER 2018

Beim Aufwachen war die Migräne da. Er schaffte es noch, in der Zentrale anzurufen. Er sei krank und könne am heutigen Meeting nicht teilnehmen, stöhnte er und legte auf. Mehr ließen die Kopfschmer­zen nicht zu. Am nächsten Tag war er wieder im Büro – und spürte eine Wand. In seiner Abteilung schnitt man ihn, das war offensicht­lich. Als er es ansprach, wich man ihm aus. Über drei Ecken erfuhr er, man unterstell­te ihm, simuliert oder am Vorabend zu viel getrunken zu haben. Oder einfach keine Lust auf das Meeting gehabt zu haben.

Hätte er sagen sollen, was ihn quälte? Der Gesetzgebe­r sagt nein. Rein rechtlich ist ein Erkrankter verpflicht­et, dem Arbeitgebe­r unverzügli­ch – idealerwei­se vor Arbeitsbeg­inn – eine Arbeitsver­hinderung mitzuteile­n. Ebenso unverzügli­ch sollte er dann einen Arzt aufsuchen und sich krankschre­iben lassen.

Eine solche Krankensta­ndbestätig­ung kann der Arbeitgebe­r schon bei eintägiger Verhinderu­ng verlangen (in der Praxis ist man oft toleranter). Inhalt: Beginn, voraussich­tliche Dauer und Ursache der Arbeitsver­hinderung. Letzteres ist ausdrückli­ch nicht die Diagnose, sondern nur die Informatio­n, ob Ein Erkrankter ist verpflicht­et, seinem Arbeitgebe­r unverzügli­ch seine Verhinderu­ng mitzuteile­n und sich vom Arzt zu lassen. Die Diagnose ist Privatsach­e. Passt das Vertrauens­verhältnis zum Vorgesetzt­en, fällt ein Hinweis auf die Art der Erkrankung leicht und hilft, Gerüchten vorzubeuge­n. Passt es nicht, ist dennoch Informatio­n zumindest über die voraussich­tliche Dauer des Ausfalls angebracht. ein Unfall, ein Arbeitsunf­all, eine Berufskran­kheit oder eine „sonstige“Arbeitsunf­ähigkeit vorliegt. Die Unterschei­dung ist versicheru­ngstechnis­ch relevant.

Durch die ehestmögli­che Meldung bleibt der Anspruch auf volles Entgelt für mindestens sechs Wochen aufrecht, für weitere vier Wochen in halber Höhe. Nicht einmal bei derart langer Erkrankung müsste man kundgeben, welche Krankheit einen niedergest­reckt hat. Auch der behandelnd­e Arzt unterliegt der Schweigepf­licht.

Bei Vorgesetzt­en und den Kollegen, die die Arbeit auffangen müssen, sieht die Sache schon anders aus. Passt das Vertrauens­verhältnis, fällt der Hinweis auf Migräne, Grippe oder auch Ernsteres leicht. Dann weiß jeder, wann in etwa der Erkrankte zurückkehr­t, und stellt sich darauf ein.

Passt das Vertrauens­verhältnis aber nicht oder rollt gerade eine Kündigungs­welle durch das Unternehme­n, kann jede Informatio­n gegen einen verwendet werden. Migräne ist wiederkehr­end und lässt weniger belastbar scheinen, ganz zu schweigen von chronische­n oder gravierend­en Erkrankung­en. Soll man eine Krebsdiagn­ose an die große Glocke hängen?

Kommunikat­ionsexpert­in Saskia Wallner vergleicht mit den Regeln der Krisenkomm­unikation und entscheide­t sich dann teilweise dagegen. Der ersten Regel – Niemals dumm stellen oder alles abstreiten („Ich hab‘ eh nichts“) – stimmt sie zu: „Weil es die eigene Glaubwürdi­gkeit untergräbt und das Klima nur noch mehr vergiften würde.“

Die zweite Regel – Sage alles, schnell und klar – würde sie situations­bezogen beugen: „Niemand muss es sagen, wenn er Krebs hat. Schon gar nicht sofort. Er braucht selbst Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen.“Bleibt nur die Klarheit: Die unterschre­ibt Wallner, weil sie von einer aufrechten Haltung zeugt und dem Wunsch, einen Beitrag zur Lösung zu leisten. „Eine gute Formulieru­ng wäre: Ich bin erkrankt, ich habe in den nächsten Wochen einige Untersuchu­ngstermine und sobald ich weiß, wie es weitergeht, werde ich euch informiere­n.“Grundtenor: So viel wie nötig sagen, aber so wenig wie möglich.

Im Übrigen gilt die Grundregel jeder Bassena-Kommunikat­ion: Hat man erst einem Kollegen „im Vertrauen“gesagt, woran man leidet, wissen es bald alle.

 ?? [ MGO ] ??
[ MGO ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria