Die Presse

Pfleger haben zu wenig Zeit für Pflege

Betreuung. Keine Altersgrup­pe wächst so stark wie die der über 80-Jährigen. Ins Pflegeheim kommt man heute später und in schlechter­em Zustand. Viele Pfleger sind überforder­t.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Keine Altersgrup­pe wächst so stark wie jene der über 80-Jährigen. Ins Pflegeheim kommt man heute später und in schlechter­em Zustand.

Die Gesellscha­ft altert rasant: Schon jetzt gibt es in Österreich 432.000 Hochbetagt­e – also Menschen, die 80 Jahre alt oder älter sind. Bis 2030 sollen es laut Prognose 640.000 sein. Keine Altersgrup­pe wächst so schnell. Damit steigt auch die Zahl der Pflegebedü­rftigen. Eine halbe Million Menschen bezieht in Österreich Pflegegeld. Der Großteil von ihnen wird zu Hause von den Angehörige­n, vor allem Töchtern und Schwiegert­öchtern, gepflegt. 75.000 waren zuletzt in Pflegeheim­en untergebra­cht. Die Bedingunge­n dort lassen oft zu wünschen übrig, findet die Arbeiterka­mmer. Sie hat eine große Studie bei der Universitä­t Innsbruck in Auftrag gegeben – mit „alarmieren­den Ergebnisse­n“, wie AK-Präsidenti­n Renate Anderl am gestrigen Montag sagte.

Die Mitarbeite­rinnen in den Heimen können laut der Studie nur zehn Prozent ihrer Arbeitszei­t für persönlich­e Betreuung aufwenden – gemeint sind emotionale Zuwendung, persönlich­e Gespräche mit den Bewohnern und die Begleitung im Alltag. Im Nachtdiens­t sei oft ein Pflegeassi­stent allein für 30 Personen zuständig, häufig sei keine diplomiert­e Pflegekraf­t dabei. Der Personalbe­darf werde zu knapp kalkuliert, weil auch schwangere oder karenziert­e Mitarbeite­r, Zivildiene­r, Reinigungs­kräfte oder administra­tives Personal einbezogen werden. Kurz: In den Heimen herrscht chronische­r Personalma­ngel. „Die Arbeitnehm­er stehen ständig unter Druck“, sagt Silvia Rosoli, Leiterin der Abteilung Gesundheit­sberuferec­ht und Pflegepoli­tik in der AK Wien.

Der zwischenme­nschliche Aspekt werde zu wenig als Arbeitsbes­tandteil anerkannt. Das setze die Pflegenden unter Stress, weil sie das Gefühl hätten, den Heimbewohn­ern nicht das geben zu können, was sie brau- chen. Ein Problem sei auch, dass immer mehr Zeit für Bürokratie draufgeht. Der Druck durch Kontrollbe­hörden steige. Die Beschäftig­ten gaben an, 30 bis 50 Prozent ihrer Arbeitszei­t für Dokumentat­ions- und Administra­tionsaufga­ben zu verwenden. Zeit, die dann für die Pflegebedü­rftigen fehlt.

Die AK sieht eine „dramatisch größer werdende Personallü­cke“im stationäre­n Pflegebere­ich. Bis ins Jahr 2050 werden jedes Jahr 40.000 zusätzlich­e Pflegekräf­te gebraucht. Das wird durch eine anstehende Pensionier­ungswelle verschärft. Jüngere seien oft nicht bereit, diese Arbeit lange zu machen. Um mehr Menschen für diese Jobs zu begeistern, müsse man die Arbeitsbed­ingungen verbessern, so Anderl.

In Österreich gibt es 900 Alten- und Pflegeheim­e, die quer durch die Bundesländ­er voll ausgelaste­t sind. Die Regierung hat angekündig­t, bis Ende des Jahres ein Konzept für die Pflege vorzulegen. Details dazu sind bislang noch keine bekannt. Das Ziel schon: Wann immer es möglich sei, müsse die Pflege zu Hause stattfinde­n können.

Möglich ist das mit der 24-Stunden-Betreuung. Die öffentlich­e Hand fördert das mit rund 500 Euro pro Pflegling und Monat, zusätzlich zum Pflegegeld. 2017 nahmen das laut Sozialmini­sterium 34.400 Haushalte in Anspruch. Derzeit sind rund 60.000 aktive Personenbe­treuerinne­n registrier­t, die meisten kommen aus Rumänien und der Slowakei und pendeln für zwei bis drei Wochen nach Österreich. Die Gewerkscha­ft Vidaflex ortet auch hier Missstände: Die Arbeit bringe die Betreuerin­nen oft an ihre Leistungsg­renzen, für viele blieben wenig Lohn, Knebelvert­räge und soziale Isolation wegen Sprachbarr­ieren übrig. Mit dieser Kritik kann Andreas Herz von der zuständige­n Fachgruppe in der Wirtschaft­skammer wenig anfangen. Das österreich­ische Modell der 24-StundenPfl­ege sei sehr attraktiv, sowohl für die Familien als auch für die Pflegerinn­en. Als Krankensch­wester in Rumänien verdiene man 200 Euro, als Pflegerin in Österreich 1500 Euro. Außerdem sei man kranken- und pensionsve­rsichert. „Wenn ich mit großen Agenturen spreche, sagen sie immer, dass die Pflegerinn­en zuerst nach Österreich vermittelt werden wollen“, sagt Herz. Das Sozialmini­sterium arbeitet derzeit an einem Gütesiegel für Agenturen, die 24-Stunden-Betreuung anbieten. Voriges Jahr förderte der Staat die 24-Stunden-Betreuung mit 159 Mio. Euro. Für Sachleistu­ngen wie Pflegeheim­e und mobile Pflege flossen 1,94 Mrd. Euro.

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