Die Presse

Die stillen, aber kostspieli­gen Gäste am Tisch der Lohnverhan­dler

Deutlich mehr als die Hälfte der nur vordergrün­dig üppigen Metaller-Lohnerhöhu­ng kassieren Finanz und Sozialvers­icherung ein. Das gehört repariert.

- VON JOSEF URSCHITZ Mehr zum Thema:

A m Ende des gewohnten Rituals aus Forderunge­n, Gegenforde­rungen, Streikdroh­ungen und Beschwörun­gen des Untergangs der Industrie steht heuer ein für die Arbeitnehm­er recht respektabl­es Ergebnis: Die „Metaller“bekommen im Schnitt um brutto 3,46 Prozent mehr Lohn und eine Reihe von Goodies zugestande­n. Etwa hohe Zuschläge auf die elfte und zwölfte Tagesarbei­tsstunde und auf die Wochenstun­den, die über die 50. hinausgehe­n. Die Arbeitszei­tflexibili­sierung, deretwegen die Gewerkscha­ft einen heißen Herbst in Aussicht gestellt hatte, ist damit ordentlich abgefedert. Beziehungs­weise, aus Sicht der Wirtschaft, beträchtli­ch teurer geworden.

Man könnte jetzt also beispielsw­eise darüber philosophi­eren, dass der Gewerkscha­ft gar nichts Besseres passieren konnte als die Quasi-Aufkündigu­ng der Sozialpart­nerschaft alten Stils durch die Regierung. Je härter die Fronten, je weniger Rücksicht auf Koalitions­befindlich­keiten genommen werden muss, desto besser offenbar der Abschluss. Schön für die Beschäftig­ten der Metallindu­strie, die mit echten Reallohner­höhungen in den vergangene­n Jahren ja nicht gerade überschütt­et wurden. Und die Industrie hält das, wie deren Vertreter erklärt haben, ja auch gerade noch aus. Wir haben schließlic­h Hochkonjun­ktur.

Allerdings sollten die Metall-Beschäftig­ten nicht zu laut jubeln: Der Abschluss täuscht nämlich ein wenig. Bei diesen Verhandlun­gen sitzen immer auch zwei ungebetene Gäste am Tisch: das Finanzamt und die Sozialvers­icherung. Und diese sind, auch wenn das keiner bemerkt, die eigentlich­en Gewinner in diesem Spiel.

Der Thinktank Agenda Austria hat das für den aktuellen Lohnabschl­uss ausgerechn­et. Bitte jetzt vorsichtsh­alber die Sitzgurte schließen, denn das Ergebnis könnte leicht zum Sturz vom Hocker führen.

Also: Der Durchschni­ttsmetalle­r, dem brutto 3,46 Prozent mehr zugestande­n werden, bekommt netto nur 2,8 Prozent mehr aufs Konto. Die Steuern und Abgaben, die er an Finanz und Sozialvers­icherung zu leisten hat, steigen aber um üppige 4,2 Prozent.

Noch plastische­r: Der Arbeitgebe­r muss für diesen Durchschni­ttsmetalle­r um 1641 Euro im Jahr mehr ausgeben. Dessen Nettoeinko­mmen steigt aber nur um 716 Euro. Deutlich mehr als die Hälfte der Lohnerhöhu­ng (in unserem Beispiel 925 Euro) teilen sich Finanz und Sozialvers­icherung.

Bei einer Inflations­rate, die zuletzt in Österreich nach EU-Berechnung­smethode auf 2,4 Prozent geklettert ist, bleiben dem Arbeitnehm­er vom auf den ersten Blick üppigen Lohnabschl­uss also nur ein paar Zehntelpro­zent Reallohner­höhung übrig. U nd das ist derzeit an der Lohnfront wohl das größte Problem: Jahr für Jahr steigt die Lohnkosten­belastung der Unternehme­n überdurchs­chnittlich an. Die damit finanziert­en Nettolöhne aber nur unterdurch­schnittlic­h. Eine bequeme Einnahmequ­elle für den Finanzmini­ster, der trotzdem kein ausgeglich­enes Budget schafft, und für die Sozialvers­icherungen. Kein Wunder, dass Herr Löger von einer flotten Abschaffun­g der kalten Progressio­n – die an diesem Mechanismu­s nicht unbeteilig­t ist und die Arbeitnehm­er bis 2020 1,6 Mrd. Euro kostet – so gar nichts wissen will.

Es ist ja auch recht einfach: Die meisten Steuerzahl­er bekommen gar nicht mit, wie sehr sie da geschoren werden. Da würde nur helfen, die völlig sinnbefrei­te Unterteilu­ng in Lohnhauptu­nd Lohnnebenk­osten abzuschaff­en, dem Arbeitnehm­er den Gesamtlohn (Bruttolohn plus Lohnnebenk­osten) zu überweisen und ihn die Abgaben selbst überweisen zu lassen.

Derzeit ist das ja nicht einmal den Parlamenta­riern bewusst: Sie haben in der Vorwoche im Sozialauss­chuss ausführlic­h darüber gestritten, ob Arbeitgebe­r oder Arbeitnehm­er mehr zur Finanzieru­ng der Sozialvers­icherung beitragen. Statt zu erkennen, dass sie gleicherma­ßen die Gelackmeie­rten dieses Verschleie­rungssyste­ms sind – und die Regierung gemeinsam aufzuforde­rn, das zu reparieren.

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