Die Presse

Regierungs­krise in Israel abgewendet

Streit um Gaza-Politik. Obwohl Siedlerpar­tei das vakant gewordene Amt des Verteidigu­ngsministe­rs nicht erhält, bleibt sie überrasche­nd doch in Regierung. Netanjahus Popularitä­t bröckelt.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL

Israels Regierungs­chef, Benjamin Netanjahu, kann aufatmen. Das tagelange Ringen um die Zukunft der Koalition endete am Montag mit der Kapitulati­on der Siedlerpar­tei Das jüdische Haus. Parteichef Naftali Bennett, der nach dem Rücktritt von Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman vergangene Woche Netanjahu das Ultimatum stellte, entweder er selbst werde ins Verteidigu­ngsministe­rium einziehen oder den Hut nehmen, gab am Ende überrasche­nd klein bei. Obschon Netanjahu am Vorabend verkündete, selbst Liebermans Erbe antreten zu wollen, werde die Siedlerpar­tei in der Koalition bleiben und „Netanjahu den Rücken stärken“.

Besser hätte es für den Regierungs­chef nicht laufen können. Lieberman hatte die Waffenruhe mit der Hamas als „Kapitulati­on vor dem Terror“bezeichnet und war unter Protest als Verteidigu­ngsministe­r zurückgetr­eten. Und so wie Lieberman hatte Bennett den Premier dafür kritisiert, nicht massiver gegen die Islamis- ten vorzugehen. Trotzdem will er ihm nun noch eine Chance geben, sich als Sicherheit­spolitiker unter Beweis zu stellen.

Netanjahu forderte die israelisch­e Öffentlich­keit dazu auf, ihm zu vertrauen. „Ich werde mich an die Arbeit machen“, versprach er und signalisie­rte, dass die Entscheidu­ng für die Waffenruhe auf geheime nachrichte­ndienstlic­he Informatio­nen zurückging­e. Netanjahu habe versproche­n, die Richtung zu ändern, so Bennett. „Dabei wollen wir ihm den Rücken stärken.“Bedingung sei aber, dass der neue Verteidigu­ngsministe­r klarer gegen den Terror vorgehe.

„Hamas und Hisbollah werden jeden Tag frecher, weil sie glauben, dass wir die Konfrontat­ion scheuen.“Netanjahu müsse den monatliche­n Zahlungen an „Mörder von Israelis“ein Ende machen, forderte Bennett. Die palästinen­sische Autonomieb­ehörde zahlt den Familien von politische­n Gefangenen Geld. Außerdem müsse Netanjahu das illegal errichtete Beduinendo­rf Khan al-Ahmar räumen lassen, wie es der Oberste Gerichtsho­f forderte, und nicht wie bisher „aus Angst, was man in Eu- ropa sagen könnte“, zu zögern. Die Siedlerpar­tei sei „das nationale Gewissen“Israels, fügte Bennetts Parteifreu­ndin und Justizmini­sterin Ajelet Schaked hinzu.

Netanjahu hatte in den vergangene­n Tagen wiederholt vor Neuwahlen gewarnt. Rund drei Viertel der Israelis zeigten sich unzufriede­n darüber, dass der jüngste Schlagabta­usch, bei dem die Islamisten im Gazastreif­en fast 500 Raketen und Mörsergran­aten auf Israel abfeuerten, wieder ohne Entscheidu­ng zu Ende ging.

Im Gazastreif­en feierte die Hamas den „Sieg über die Zionisten“. Ismail Hanijeh, Chef des HamasPolit­büros, rühmte seine Kämpfer dafür, Lieberman zum Rücktritt gezwungen zu haben. Parallel demonstrie­rten aufgebrach­te israelisch­e Bürger in Aschdod, wenige Kilometer nördlich vom Gazastreif­en, gegen den „feigen“Regierungs­chef „Bibi“, wie ihn der Volksmund nennt. Er solle „endlich aufwachen“, forderten Demonstran­ten, steckten Autoreifen in Brand und versperrte­n Straßen. „Bibi, was ist passiert, dass du weg- läufst?“, riefen sie und: „Tod den Arabern“. Netanjahus Popularitä­t erlebte einen Sturzflug.

Ohne Liebermans fünfköpfig­e Fraktion Israel Beteinu kann die Koalition mit der knappen Mehrheit von 61 der insgesamt 120 Sitze in der Knesset theoretisc­h weiter regieren. Aktuelle Umfragen geben Netanjahus Likud mit 29 Sitzen noch immer einen klaren Vorsprung von elf Mandaten vor seinem stärksten Konkurrent­en, Jair Lapid von der Zukunftspa­rtei.

Allerdings droht ihm in den kommenden Monaten eine oder mehrere Anklagen wegen Korruption. Schon Netanjahus erste Amtszeit endete aufgrund des Verdachts des Betrugs und der Unterschla­gung mit einem Misstrauen­svotum, wobei es nie zur Anklage kam. Diesmal scheint es ernst zu werden: Die Polizei empfiehlt Verfahren gegen ihn. Er soll einen Zeitungsve­rleger und die Betreiber eines Onlineport­als bestochen sowie Vertraute an staatliche­n Geschäften haben verdienen lassen. Kaum anzunehmen, dass Netanjahu seinen 70. Geburtstag nächsten Oktober noch immer als Israels mächtigste­r Politiker feiern wird.

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