Die Presse

Wie ein Roman Frankreich vor sich selbst rettete

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

Mir

ist nicht bekannt, ob Arthur Koestler mit einem Ehrenzeich­en der französisc­hen Republik gewürdigt wurde. Eine rue Arthur Koestler sucht man im Hexagon vergebens, Statuen ebenso. Dabei sind die Franzosen ihm zu tiefstem Dank verpflicht­et. Denn seinem Roman „Sonnenfins­ternis“ist es mit zu verdanken, dass der Kommunisti­schen Partei der Zug an die Macht in der Folge der Wahlen im Oktober 1945 sowie des (letztlich gescheiter­ten) Verfassung­sreferendu­ms 1953 verwehrt blieb. Wie komme ich heute und hier auf dieses ein wenig obskur anmutende Thema? Weil ich kürzlich die Neuauflage von „Sonnenfins­ternis“gelesen habe. Die verdanken wir dem deutschen Elsinor-Verlag und dem Germaniste­n Matthias Weßel. Er war 2015 im Zuge seiner Dissertati­onsstudien an der Stadtbibli­othek Zürich auf ein Koestler-Manuskript mit dem Titel „Rubaschow“gestoßen. Was für ein Goldgriff! „Rubaschow“entpuppte sich als das seit 1940 verscholle­n geglaubte deutschspr­achige Original. Zur Erinnerung: Koestler hatte diese auf seinen Erfahrunge­n mit den Moskauer Schauproze­ssen der Staliniste­n fußende Abrechnung mit dem Kommunismu­s während seines Pariser Exils verfasst, die unvollstän­dige und sprachlich teils missglückt­e englische Übersetzun­g seiner damaligen Freundin Daphne Hardy schaffte es noch per Post nach London, den Rest seiner Unterlagen musste Koestler im Zuge seiner Flucht vor den Deutschen in Frankreich zurücklass­en. Und so fußte bis jetzt die deutsche Fassung dieses Werkes auf der rücküberse­tzten englischen.

Als der Roman 1945 in Frankreich erschien, schlug er mannshohe Wellen. Die Kommuniste­n versuchten, eilig alle Exemplare aufzukaufe­n. Es half nichts, das Buch verbreitet­e sich Hunderttau­sende Mal und korrigiert­e das lügenhafte Bild von der UdSSR, das führende französisc­he Intellektu­elle gezeichnet hatten. Koestler ist als Zeitzeuge des Niedergang­s der Demokratie hochaktuel­l, doch ängstlich frage ich mich: Hätte ein Roman heute noch eine solche Wirkmacht?

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