4000 Jahre alte Architektur der Insekten
Zoologie. Termiten haben in Brasilien eine Fläche von 230.000 Quadratkilometern mit Millionen von Hügeln bedeckt. Das Muster ist nur von oben zu erkennen. Forscher versuchen, es aus einem System der Abfallentsorgung zu erklären.
Eine Fläche von circa 230.000 Quadratkilometern (so groß wie Großbritannien) im nordöstlichen Brasilien, halbwegs regelmäßig bedeckt mit 200 Millionen kegelförmiger Hügel in einer laut Bodenproben bis zu 4000 Jahre alten Struktur, die in ihrer Gänze nur von oben wahrzunehmen ist: Die Geschichte klingt wie gemacht für Außerirdischen-Geraune a` la Erich von Däniken. Doch solche Spekulationen sind nicht nötig, um diese Struktur zu erklären – was sie nicht weniger fantastisch macht.
Beschrieben wird sie in der – diesfalls muss man das dazusagen – angesehenen Fachzeitschrift Current Biology (19. 11.) unter dem Titel „A vast 4000-year-old spatial pattern of termite mounds“. Die Autoren, Biologen um Stephen Martin (University of Salford, Großbritannien), beginnen gleich mit dem Satz: „Die Ursprünge vieler großräumiger ,biogener‘ Erdstrukturen sind umstritten, weil oftmals die Arten, die sie gebaut haben, verschwunden sind.“Bei den brasilianischen Hügeln ist das anders: Die Baumeister respektive Bauarbeiter waren offenbar Termiten der tropischen Art Syntermes dirus, solche leben noch immer dort.
Die Hügel, die sie gebaut haben, sind 2,5 Meter hoch, mit einem Durchmesser von ungefähr neun Metern, sie haben keine interne Struktur. Sie dienen und dienten selbst auch nicht als Nester, sondern sind aus dem Aushub eines riesigen Netzwerks von Tunneln entstanden. Jeder Hügel besteht aus ungefähr 50 Kubikmetern Erde, insgesamt seien also über zehn Kubikkilometer Erde bewegt worden, schreiben die Biologen, das entspreche 4000 Pyramiden von Gizeh.
Und all das quasi als Bauschutt. Wie aber soll man sich das zugrunde liegende riesige Tunnelsystem erklären? Es habe den Termiten erlaubt, auf den Waldboden gefallenes Laub zu verteilen und sicher zu verspeisen, meint Stephen Martin. Und die regelmäßige Anordnung? Ist sie durch Kämpfe entstanden? Die Forscher prüften diese These, indem sie heute dort lebende Termiten aus verschiedenen Regionen miteinander konfrontierten. Termiten aus benachbarten Hügeln zeigten kaum Aggression, solche aus 50 Kilometer voneinander entfernten Hügeln sehr wohl. Das spreche gegen den Krieg als Vater dieser Struktur, meinen die Forscher. Eher sei sie durch die Periodizität zu erklären, mit der in dieser im Winter heißen und trockenen, im Sommer feuchten Landschaft – Caatinga genannt – die Blätter fallen. Eine Landkarte aus Pheromonen – Duftstoffen, mit denen Tiere kommunizieren – könnte es den Termiten ermöglicht haben, die Reisezeit zum nächsten Hügel zu minimieren und so die Müllentsorgung zu optimieren.
Registriert wurde dieses gigantische Muster – wenn man nicht an Außer- oder Überirdische glauben mag – die meiste Zeit von niemandem: In der Caatinga wachsen die dornigen Sträucher zwar nicht dicht, aber doch so, dass sie die Hügel weitgehend kaschieren. Für Menschen sichtbar wurden diese erst, wo Land gerodet wurde, um es als Weidefläche zu verwenden. „Es ist unglaublich“, sagt Stephen Martin, „dass man in der heutigen Zeit noch ein ,unbekanntes‘ biologisches Wunder dieser Größenordnung und dieses Alters entdecken kann, und dass dessen Bewohner noch immer da sind.“
Viel ist offen. Etwa eine zentrale Frage zur Sozialstruktur dieser Art: Gibt es bei diesen Termiten überhaupt Königinnen? Solche wohnen üblicherweise in Königinnen- kammern, und von diesen hat man bisher keine Spur gefunden. Termitenstaaten können mehrere Millionen Individuen umfassen – gab bzw. gibt es auf diesem Gebiet mehrere Staaten? Müsste man dann nicht doch Unterstrukturen des Musters wahrnehmen können? Fronten oder Niemandsländer sozusagen?
Für uns Menschen, die wir doch – zurecht – stolz darauf sind, verständige Individuen zu sein, ist es jedenfalls ein wenig unheimlich, wie kollektiv die kulturellen Leistungen eines Insektenstaats sind. Schnoddrig gesagt: Eine einzelne Termite – oder eine einzelne Ameise – hat (im Gegensatz zu einem menschlichen Bauarbeiter) keine Ahnung, an welchem (architektonischen) Werk sie da beteiligt ist. Ihre Intelligenz ist minimal, und doch wirkt das Produkt eines Kollektivs aus so minimalen Intelligenzen auf uns intelligent. Dass ein solches Kollektiv so etwas wie ein Bewusstsein entwickelt, scheint uns freilich undenkbar. Wenn wir – beflügelt durch die Entdeckung unzähliger Planeten anderer Sterne – derzeit vermehrt über Leben anderswo nachdenken, könnten wir auch eine befremdende Idee in Betracht ziehen: Vielleicht gibt es mehr Planeten, auf denen Kulturen wie jene der Termiten, Ameisen und Bienen entstanden sind, als solche, auf denen individuelle, bewusste Wesen leben und regieren; und extraterrestrische Gebäude und Gärten, die wir dereinst vielleicht sichten, sind womöglich bewusstlos entstanden.
dieser Insekten, am nächsten verwandt sind sie mit den Schaben. Wie manche Hautflügler (Ameisen, Bienen, Wespen) – mit denen sie aber nicht nahe verwandt sind – bilden sie Staaten, die aus drei „Kasten“bestehen: Arbeiter, Soldaten sowie König und Königin, die allein für die Fortpflanzung zuständig sind. Bei den Hautflüglern erklären viele Biologen den Fortpflanzungsverzicht der meisten Individuen dadurch, dass die Männchen nur einen Chromosomensatz haben; das ist bei den Termiten nicht der Fall.