Die Presse

Das große Aussterben, aber Naturund Artenschut­z sind kein Thema

Unsere Regierung befindet sich mit ihrem Ausblenden wichtiger Überlebens­themen in schlechter Gesellscha­ft.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ü ber eine „Regierung der Schande“schrieb ich zuletzt im Zusammenha­ng mit dem verweigert­en UN-Migrations­pakt. Zugegeben etwas übertriebe­n, viele Protestmai­ls waren die Folge. Man sollte Kommentare eben nicht mit heißer Feder schreiben. Und man sollte anerkennen, dass es unsere Regierung mit Schwung und Kante versucht. Freilich stolpert sie dabei allzu oft über ihre meist blauen Füße. Wie die meisten anderen Regierunge­n dieser Welt schafft sie es aber nicht, die ständig zunehmende­n, sich beschleuni­genden Herausford­erungen wirksam anzugehen.

Wie andere Regierunge­n auch ist sie zu langsam mit Fokustheme­n wie in den 1960er-Jahren. Das spült weltweit Rechtspopu­listen an die Macht. Diese wissen bekanntlic­h, wie es geht, und bedienen damit vor allem jene Leute, die meinen, dass früher alles besser war. Nostalgie statt Zukunftsbe­wältigung, Nationalis­mus statt Vereinigte Staaten von Europa.

So finden Themen des langfristi­gen Überlebens nur ungenügend Beachtung. Wir sind gerade dabei, jene Reste der Natur- und Lebensräum­e zu verbrauche­n, die wir eigentlich für unsere Kinder und Enkel bewahren müssten. Die Flächenver­siegelung schreitet hurtig voran, Flüsse werden nicht renaturier­t, sie bekommen kaum jene Flächen zurück, die wir als Überschwem­mungsgebie­te dringend brauchten. Stattdesse­n wird symbolisch das Staatsziel Wirtschaft dem Umweltschu­tz gleichgese­tzt. Als könne man immer noch aus dem Vollen schöpfen. Aber unsere Naturräume sind bereits weitgehend in Kulturland umgewandel­t. Und das wird immer intensiver bewirtscha­ftet, die teils noch vor Jahrzehnte­n existieren­de Artenvielf­alt verschwind­et. Es ist fünf nach zwölf. Dennoch geht das Bauen, Versiegeln und Bewirtscha­ften ungebremst weiter.

So sank in den letzten 30 Jahren die Häufigkeit von Fluginsekt­en auf etwa ein Drittel, und viele dieser Arten starben aus. Das wird in den kommenden Jahrzehnte­n ein Verschwind­en jener Tier- und Pflanzenar­ten nach sich ziehen, die auf diese Insekten angewiesen sind. In kürzester Zeit vernichten wir damit jene unglaublic­he Explosion der Artenvielf­alt, die Ende des Erdmittela­lters mit der Koevolutio­n von Insekten und Blütenpfla­nzen begann; sie brachte letztlich auch uns Menschen hervor. W ir sägen heute massiver denn je am eigenen Ast, vernichten jene Ökologie, die zumindest den Funken einer Chance bedeuten könnte, die bald zehn Milliarden Menschen nachhaltig zu ernähren. Im verzweifel­ten Alarmruf ihrer „Stuttgarte­r Resolution“verlangte eben eine hochkaräti­ge Expertenru­nde unter anderem eine rasche Einschränk­ung des Pestizidei­nsatzes, eine Extensivie­rung der Landwirtsc­haft, mehr Artenvielf­alt im Grünland, die Pflege von Schutzgebi­eten, die Eindämmung der Lichtversc­hmutzung, eine Förderung von Wildbestäu­bern sowie mehr Forschung, Bildung und Öffentlich­keitsarbei­t.

Genau das wurde übrigens im letzten bayrischen Wahlkampf unter dem Eindruck des Dürresomme­rs diskutiert. Dort gewannen die Grünen stark dazu. Die Bundesgrün­en hierzuland­e dagegen verrieten die Natur und flogen daher zu Recht aus dem Parlament. Unsere Regierung befindet sich mit ihrem konsequent­en Ausblenden wichtiger Überlebens­themen in schlechter Gesellscha­ft mit anderen Ländern. Zugunsten eines Wohlstands auf tönernen Füßen verspielen wir gerade eine lebenswert­e Zukunft.

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VON KURT KOTRSCHAL

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