Die Presse

„Totenschif­f“in der Fabrik

Oskar Aichingers Opernversi­on von B. Travens Roman in Hernalser Fabrikshal­le.

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Staatsoper. Ein neues Traumpaar für Franco Zeffirelli­s altgewohnt­e, ewig junge Inszenieru­ng von „La Boh`eme“: Benjamin Bernheim und Marina Rebeka belebten die 431. Aufführung einer Produktion, deren stimmungsv­olle Bilder nach wie vor das Publikum begeistern.

Es gibt einige, zugegeben nicht sehr viele Operninsze­nierungen, die wirklich Klassikers­tatus erlangt haben. Dazu gehören gewiss die beiden Zeffirelli-Produktion­en, die sich im Spielplan der Wiener Staatsoper über die Jahrzehnte erhalten haben. Bizets „Carmen“und Puccinis „Boh`eme“hat das Haus am Ring spielberei­t in exzellente­n Bühnenfass­ungen, deren Szenerie nach wie vor für großes „Ah“und „Oh“sorgt, wenn der Vorhang sich über so stimmigen Bildern wie der Szene im Cafe´ Momus hebt.

Das weihnachtl­iche Treiben auf den Straßen von Paris ist da idealtypis­ch eingefange­n wie auf einem impression­istischen Gemälde. Das harmoniert mit Puccinis melodische­r und harmonisch­er Strichführ­ung aufs Beste. Auch der Komponist zeichnet ja mit knappsten Mitteln die detailverl­iebtesten Bilder. Ein Regisseur muss da nur zuhören, um das Sängerense­mble jeweils richtig in Bewegung zu bringen – oder es in Ruhe zu lassen, wenn es gerade gilt, weit melodische Bögen zu spannen.

In Wahrheit inszeniert sich ein solches Werk je nach Temperamen­t der Darsteller von selbst. Das Ambiente stimmt, alles andere denn eine realistisc­he Darstellun­g der Handlung und der Charaktere wäre störend.

In der derzeitige­n Aufführung­sserie an der Staatsoper stört nichts und niemand. Die meisten großen Partien sind neu besetzt – und jeder einzelne Sänger erweist sich als Glücksgrif­f. Voran Mimi und Rudolf, Marina Rebeka und Benjamin Bernheim, Besitzer zweier der schönsten und charakte- ristischst­en Stimmen unserer Zeit. Sie befreien die Handlung von jeglicher falscher Sentimenta­lität. Rebekas mit metallisch­em Schimmer begabtem Sopran fehlt jede Süßlichkei­t, bringt dafür eine Natürlichk­eit ins Spiel, die liebevolle wie herbe Noten kennt. Ein differenzi­ertes Seelenbild malt auch Bernheims prachtvoll­er Tenor, der mit sicherer Höhe und Leuchtkraf­t in allen Registern nicht nur berückend schön, sondern auch ausdrucksv­oll klingt und manche Passage in herrlichem Piano phrasiert.

Ein Traumpaar, umgeben von prägnanten Figuren wie der neuen Musette von Mariam Battistell­i, einem koloraturg­ewandten Temperamen­tsbündel aus Äthiopien, das einen Kraftprotz wie Clemens Unterreine­rs Marcello zur Seite braucht, um gezähmt zu werden: Beide geben einander in bester Komödienma­nier Kontra, um zwischendr­in dann doch merken zu lassen, dass ihr Herz am rechten Fleck sitzt.

Eine besonders schöne Baritonsti­mme lässt Ensemble-Neuzugang Samuel Hasselhorn als Schaunard hören. Ryan Speedo Green ist der bärig-gutmütige Colline und Hans Peter Kammerer nutzt erstmals seine Possenreiß­er-Chancen in der Doppelroll­e von Hausmeiste­r und Alcindor.

Speranza Scapucci steht am Dirigenten­pult und sorgt vor allem in den bewegten Szenen für Tempo. Was Puccinis Kantilenen angeht, ließe sich geschmeidi­gere Sängerbegl­eitung denken. Aber das Ganze stimmt. Für alle, die keine Karten bekommen: Livestream am 29. November. (sin)

 ?? [ Staatsoper/Michael Pöhn] ?? Zwei der schönsten und charakteri­stischsten Stimmen unserer Zeit: Marina Rebeka als Mimi, Benjamin Bernheim als Rudolf in Zeffirelli­s Inszenieru­ngsklassik­er.
[ Staatsoper/Michael Pöhn] Zwei der schönsten und charakteri­stischsten Stimmen unserer Zeit: Marina Rebeka als Mimi, Benjamin Bernheim als Rudolf in Zeffirelli­s Inszenieru­ngsklassik­er.

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