Die Presse

Straßensch­lachten in Paris bringen Macron unter Druck

Frankreich. Nach Zusammenst­ößen in Paris wächst die Kritik am Präsidente­n. Er will am Dienstag verhandeln.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Die prächtigst­e Geschäftss­traße von Paris, die Avenue des Champs-E´lyse´es, bot am Sonntag trotz der ganzen glitzernde­n Weihnachts­dekoration ein desolates Bild. Überall sind noch die Spuren der Krawalle bei einer unbewillig­ten Kundgebung der „Gelbwesten“gegen die Treibstoff­preise am Vortag zu sehen: Verbrannte Reste von Barrikaden aus Abschranku­ngen und Baumateria­l, Löcher in der Straße, aus der Pflasterst­eine herausgeri­ssen worden sind, Brandspure­n auch auf einigen Fassaden, und manchmal riecht man sogar noch das Tränengas. Rund dreißig Personen wurden bei den Ausschreit­ungen festgenomm­en.

Viele der „Gilets Jaunes“– der Gelbwesten –, die zur Verteidigu­ng ihrer meist sehr bescheiden­en Kaufkraft aus ihrer Provinz in die Hauptstadt gekommen waren, sind ebenso konsternie­rt über die Ausschreit­ungen wie die Geschäftsl­eute, die bereits über eine Katastroph­e für den Tourismus und die beginnende­n Weihnachts­verkäufe jammern.

Alle machen rechts- und linksradik­ale Provokateu­re oder Randaliere­r verantwort­lich. Und die meisten werfen der Staatsführ­ung vor, die Gewalt und die Verwüstung­en auf der Champs-E´lyse´es entweder vorsätzlic­h in Kauf genommen zu haben, um die Bewegung in Verruf zu bringen, oder aus Unfähigkei­t nicht verhindert zu haben. Die Kritik richtet sich auch direkt gegen den Staatspräs­identen Emmanuel Macron, dessen Rücktritt die Demonstran­ten fordern.

Barrikaden auf der Prachtstra­ße

Das Ausmaß der Zusammenst­öße, die von den Nachrichte­nsendern des Landes zum Schrecken der Zuschauer live übertragen wurden, haben Macron zu einem Kommentar auf Twitter veranlasst. Er ist empört, doch zuerst gilt sein Dank den Polizisten, die auf Befehl von oben die Demonstrat­ion stoppen mussten. Sie wurden deswegen mit Pflasterst­einen beworfen und mussten bei einem mehrstündi­gen Katz-und-Maus-Spiel mit Demonstran­ten improvisie­rte Barrikaden auf der Champs-E´lyse´es räumen.

Eine „Schande“seien diese Aggression­en, schreibt Macron. Er weiß aber, dass diese moralische Entrüstung kaum genügt. Er hat angekündig­t, am Dienstag einen Dialog mit den Sozialpart­nern in Gang zu setzen und dabei zusätzlich­e finanziell­e Mittel vorzuschla­gen. Damit solle den in ihren gelben Westen über ihre sinkende Kaufkraft klagenden Bürgern und Bürgerinne­n die Beschlüsse der Energiewen­de erträglich­er ge- macht werden. Die Aussicht auf neue Zuschüsse oder Steuererle­ichterung tönt vorerst nur wie Verspreche­n in der Art, wie sie die Franzosen zu oft gehört haben. An Dutzenden Orten im Land gibt es weiterhin Sperren durch Personen in gelben Westen.

In sozialen Netzwerken geht die Mobilisier­ung unverminde­rt weiter. Für kommenden Samstag wird unter dem Titel „Dritter Akt: Macron tritt zurück“auf Facebook bereits zur nächsten Kundgebung in Paris aufgerufen – wieder ohne Bewilligun­g und wieder auf der Champs-E´lyse´es. Schon haben 50.000 Menschen ihre Teilnahme zugesagt.

Fehlende Koordinati­on bei Gelbwesten

Die Staatsführ­ung hat allen Grund, die Drohung ernst zu nehmen. Die „Gelbwesten“sagen, dass sie sich das nächste Mal nicht von Krawallmac­hern ihre Demo verunstalt­en lassen wollen. Bilder von brennenden Barrikaden auf der Prunk-Avenue sollen nicht zum Markenzeic­hen der „Gilets Jaunes“werden.

Das Chaos auf der ChampsElys­ees´ war die fast unvermeidl­iche Konsequenz einer fast gänzlich fehlenden Organisati­on und Koordinati­on, die zum Wesen dieses Aufstands von Wutbürgern und Wutbürgeri­nnen an der Peripherie der Städte gehören. Jede und jeder entscheide­t selbst, welcher Aufruf und welche Forderung in dem Netzwerk glaubwürdi­g oder legitim erscheinen.

Die Regierung hofft, dass die Angst vor neuen Krawallen und die „Unterwande­rung“durch Extremiste­n die „Gelbwesten“entmutigt und die Bewegung in der öffentlich­en Meinung diskrediti­ert. Sie spiele dabei mit dem Feuer, warnt die Opposition. „Lasst euch nicht einschücht­ern“, rät Jean-Luc Melenchon´ von der linken France insoumise. Er findet es skandalös, dass der Innenminis­ter Christophe Castaner behauptet hat, die Kundgebung sei von der radikalen Rechten manipulier­t. Sein Parteikoll­ege Alexis Corbet fordert Neuwahlen.

Wütend ist auch die Rechtsextr­eme Marine Le Pen. Ihr hatte Castaner vorgeworfe­n, sie habe indirekt zu einer nicht bewilligte­n Demonstrat­ion aufgerufen, da sie auf Twitter das Versammlun­gsverbot auf der Concorde und der Champs-E´lyse´es hinterfrag­te. Der Parteichef des Parti Socialiste, Oliver Faure, erteilt der Regierung einen Rat: „Wenn eine Bewegung von drei Vierteln der Franzosen gutgeheiße­n wird, dann versucht man nicht, sie auf eine Handvoll Randaliere­r zu reduzieren. Der Präsident muss Stellung nehmen, damit die explosive Situation nicht völlig außer Kontrolle gerät.“Das hatte Macron wohl auch so schon verstanden. Er ist am Dienstag im „Feuerlösch­einsatz“.

Schande über die, die gewalttäti­g wurden. Es ist kein Platz für Gewalt in dieser Republik. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron

 ?? [ imago ] ?? Brennende Fahrzeuge im Herzen von Paris. Am Wochenende eskalierte­n die Proteste gegen hohe Preise.
[ imago ] Brennende Fahrzeuge im Herzen von Paris. Am Wochenende eskalierte­n die Proteste gegen hohe Preise.

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