Die Presse

„Berufung war wichtiger als das Gehalt“

Interview. Maria Katharina Moser ist seit September Direktorin der Diakonie Österreich. Der „Presse“erklärte sie, warum es wichtig ist, Steuern zu zahlen, die Kirche ein konsumfrei­er Raum sein sollte und auch Reiche Seelsorger brauchen.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Die Presse: Sie waren zuvor Pfarrerin in Wien Simmering, seit September sind Sie Direktorin der Diakonie in Österreich. Haben Sie als Pfarrerin einen speziellen Zugang zum Geld? Maria Katharina Moser: Als Pfarrerin in Wien Simmering war ich nahe dran an der Lebensreal­ität von ganz konkreten Menschen. Dort ging es auch ums Geld. Es kommt immer wieder vor, dass sich Eltern die Freizeitak­tivitäten für Kinder im Rahmen des Konfirmand­enunterric­hts nicht leisten könnten, wenn wir dafür Geld verlangen würden. Simmering ist als Arbeiter- und Flächenbez­irk nicht gerade der Ort, wo die Reichen und Schönen zuhause sind. Ich finde es wichtig, dass die Kirche ein konsumfrei­er Raum ist, wo nicht alles etwas kostet. Jetzt als Diakonie-Direktorin habe ich eine viel breitere Öffentlich­keit. Der Einsatz für Menschen, die am Rand der Gesellscha­ft stehen, ist in beiden Ämtern wichtig.

Sie sind nicht evangelisc­h, sondern katholisch aufgewachs­en. Sie haben katholisch­e Theologie studiert und sind dann beim ORF gelandet. Wie kam das? Ich wollte eigentlich als katholisch­e Theologin an der Uni arbeiten, doch das ist für Frauen nicht so einfach, weil man dafür eine römische Lehrerlaub­nis braucht. Ich habe viel zum Thema Frauen- und Geschlecht­erforschun­g gemacht. Bei der Suche nach einem Habilitati­onsthema hat es aber geheißen, ich soll nichts zum Thema Gender machen. Ich bin dann als Journalist­in zum ORF gegangen. Ich hatte beim ORF eine unbefriste­te Anstellung. Doch ich habe gemerkt, dass mich der Journalism­us nicht mehr zu hundert Prozent zufrieden macht. Ich habe dann begonnen, noch einmal zu studieren. War der Wechsel vom ORF zur Pfarrerin finanziell ein Abstieg? Es war ein Gehaltsver­lust. Das hat mich schon beschäftig­t. Auf dem Weg zur Pfarrerin muss man ein Vikariat machen. Das ist wie in einer Lehre mit deutlich weniger Gehalt als beim ORF. Ich habe aber gewusst, dass das Vikariat nur zwei Jahre dauern wird, danach steigt das Gehalt wieder. Meiner Berufung zu folgen war definitiv wichtiger als die Gehaltsfra­ge.

War Ihnen in der Ausbildung finanziell­e Sicherheit wichtig? Ich glaube, nicht nur für mich, sondern für alle Menschen ist, wenn es um Geld geht, Sicherheit etwas ganz Zentrales. Genug Geld haben bedeutet Sicherheit. Zu wenig Geld haben bedeutet große Sorgen. Geld allein macht nicht glücklich. Aber jeder Mensch braucht einen gewissen finanziell­en Grundsocke­l, damit man sich sicher fühlen kann.

Waren Sie selbst irgendwann von Armut betroffen? Ich persönlich habe Armut im Sinne von Ausgeliefe­rtsein nicht erlebt. Ich habe aber ein Jahr lang in Manila auf den Philippine­n studiert. Ich habe unter anderem mit Menschen in Slums in Manila mitgelebt. Dieses Eintauchen in die Welt von Menschen, die kein oder wenig Geld haben, ist eine wichtige Erfahrung. Ich habe aber diese Erfahrung aus einer sicheren Position heraus gemacht.

Wie war das Eintauchen in die Welt der Armut in Manila? Ich habe gelernt, dass es sehr belastend sein kann, nicht genug Geld zum Leben zu haben. Das führt zu Existenzän­gsten. Auf den Philippine­n hat mich die Gastfreund­schaft berührt. Ich war dort mit einer Kollegin bei einer indigenen Familie. Wir mussten das Essen mitnehmen. Die Familie hatte wirklich nichts – nur zwei Hühner. Am letzten Abend steht plötzlich ein Huhn auf dem Tisch. Mir ist im ersten Moment ganz anders geworden. Denn sie haben ein Huhn für uns geschlacht­et. Ich habe dann zu mir gesagt, jetzt mach bitte kein Theater. Wir haben das Huhn gegessen. Ich habe verstanden, dass etwas geben zu können für diese Menschen etwas mit Würde zu tun hat.

Wie ist die Gastfreund­schaft bei reichen Menschen? Reiche Menschen können natürlich auch gastfreund­lich sein. Ich möchte zum Thema Reichtum auch etwas aus Manila erzählen. Denn wir waren dort auch bei den ganz Reichen. Es gibt in Manila mit Forbes Park ein Viertel für die Reichen mit einer Pfarrgemei­nde, wo die Reichen und deren Hausangest­ellten hingehen. Forbes Park ist eine sogenannte Gated Community. Man kann dort nicht einfach hineingehe­n, sondern das Ganze ist abgesperrt. Auch Reichtum kann isolieren. Von einem Reichtum, der nicht geteilt wird, hat der Reiche nichts.

Hätten Sie in einer reichen Gemeinde wie in Forbes Park auch Pfarrerin sein können? Natürlich brauchen Menschen in Forbes Park und natürlich brauchen Reiche auch Seelsorger­innen und Seelsorger. Ich persönlich

(geboren 1974) ist seit Anfang September Direktorin der Diakonie in Österreich. Sie folgt dem langjährig­en Direktor Michael Chalupka nach. Die Diakonie beschäftig­t in Österreich rund 9000 Mitarbeite­r. Moser studierte zunächst katholisch­e Theologie. Sie arbeitete sieben Jahre lang als Journalist­in beim ORF-Fernsehen. Schließlic­h trat sie in die evangelisc­he Kirche ein. habe mich in Wien Simmering sehr wohl gefühlt. Wobei es in Simmering nicht nur arme Menschen gibt, sondern auch Menschen, die ganz gut verdienen. Mir persönlich war es als Pfarrerin wichtig, dass die Gemeinscha­ft gemischt ist, dass Menschen mit viel und wenig Geld zusammenko­mmen. Biblisch besteht schon der Anspruch, den Reichtum zu teilen.

Aber was kann getan werden, damit arme Menschen nicht zu Bittstelle­rn degradiert werden? Das ist ein wichtiger Punkt. Für Menschen, die wenig Geld haben, kann es beschämend sein, ständig nach einer Ermäßigung fragen zu müssen. Hier handelt es sich um eine strukturel­le Frage. Ich finde es wichtig, dass in Österreich jeder Mensch, der sich in einer finanziell­en Notlage befindet, über die Mindestsic­herung einen gewissen Grundbetra­g hat, um seine Existenz absichern zu können. Daher darf die Mindestsic­herung nicht weiter gekürzt werden.

Legen Sie Geld an? Für mich ist es wichtig, etwas Geld auf der Seite zu haben. Ich halte es für sinnvoll, Geld ethisch anzulegen. Eine gute Anlage ist Oikocredit. Hier werden Startdarle­hen an einkommens­schwache Menschen in Lateinamer­ika, Asien und Afrika vergeben. Ich unterstütz­e hin und wieder Freunde und Bekannte bei kleineren Investitio­nen mit einem kleinen zinsfreien Kredit. In der Pfarre haben wir in ähnlicher Weise auch Flüchtling­e unterstütz­t. Denn hier haben wir verschiede­ne Sachen erlebt. Wenn das Asylverfah­ren gut ausgeht, sind die Menschen aus der Grundverso­rgung draußen. Dann kann es teilweise drei bis sechs Monate dauern, bis die Mindestsic­herung ausbezahlt wurde.

Kaufen Sie auch Aktien? Nein. Weil ich es schwierig finde, dass aus Geld Geld wird. Wenn man Geld anlegt und dann wird das Geld mehr, ohne dass man dafür etwas tut, frage ich, was ist dann die Leistung.

Das heißt, Sie befürworte­n das biblische Zinsverbot? Regelungen aus biblischen Zeiten einfach auf heute umzulegen ist schwierig. Das biblische Zinsverbot soll Schwache und Notleidend­e schützen und eine Umverteilu­ng von unten nach oben verhindern, da ist was dran. Es ist jedenfalls nicht mein Zugang, dass man Geld anlegt, und dann wird das Geld einfach mehr, also wie wenn das Geld für einen arbeiten würde.

Wofür brauchen wir Geld? Geld ist dafür da, die Gesellscha­ft solidarisc­h zu verwalten. Hier gibt es zwei Wege. Zunächst kommt es darauf an, was wir privat mit Geld machen. Und dann geht es um das organisier­te Teilen über das Bezahlen von Steuern. Ich finde es wichtig, dass wir Steuern bezahlen. Denn mit Steuern finanziere­n wir Dinge, die wir als Gesellscha­ft gemeinsam nutzen.

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