Spuren sichern auch ohne Anzeige
Gewaltopfer. Grazer Expertin will für mehr Rechtssicherheit bei der Verfolgung von Gewaltdelikten sorgen.
Die Volksanwaltschaft und Frauenhäuser haben vorige Woche Alarm geschlagen: Angesichts dramatischer Zahlen von Körperverletzungen und Misshandlungen müsse Gewalt an Frauen und Kindern ernster genommen werden; Volksanwältin Gertrude Brinek forderte mehr Prävention. Unterstützung dafür liefert ein Institut in Graz, das sich die Untersuchung und Dokumentation der Verletzungen bei Opfern überlebter Gewalt zum Forschungsschwerpunkt gemacht hat.
Beweise zu sichern ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen möglichen späteren Prozess. „Die Untersuchung soll tatzeitund tatortnah erfolgen“, sagt Reingard Riener-Hofer, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Klinisch-Forensische Bildgebung (LBI CFI) in Graz. „Es geht darum, dass man kurz nach einem Gewaltangriff Spuren und Verletzungen sichern kann.“
Diese Wunden haben zwar den Vorteil, in der Regel zu heilen. Dabei verschwinden allerdings auch die Beweise, die in späteren Strafverfahren belegen können, welcher Gewalt die Opfer ausgesetzt waren. Deshalb sei vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit die Dokumentation mit bildgebenden Verfahren so wichtig, sagt Riener-Hofer. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Das gilt auch in Strafverfahren, wo Richter und Laienrichter darauf angewiesen sind, auf Basis von Fotografien und Befundberichten, die Gewaltspuren am Körper festhalten, Recht zu sprechen.“Riener-Hofer weiter: „Das ist ganz etwas anderes, als wenn es nur Aussagen des Opfers gäbe.“Denn: Der Befund ist ein Sachbeweis, im Gegensatz zur Aussage des Opfers. Wie wichtig die Spurensicherung nach tödlichen Gewaltverbrechen ist, weiß zumindest jeder TV-Krimi-Konsument. Bei überlebter Gewalt sei das Bewusstsein darüber aber nicht so weit entwickelt, meint Riener-Hofer. Nun führe zwar oft die Anzeige dazu, dass die Staatsanwaltschaft Opfer überlebter Gewalt untersuchen lasse. Eine Anzeigepflicht besteht aber nur bei minderjährigen Opfern schon bei jedem Verdacht einer Misshandlung, einer Vernachlässigung oder eines sexuellen Missbrauchs. Bei Erwachsenen setzt die Anzeigepflicht hingegen erst bei der
ist Juristin und leitet das Ludwig Boltzmann Institut für Klinisch-Forensische Bildgebung in Graz. Unter dessen Führung arbeitet ein interdisziplinäres und internationales Konsortium im Rahmen des EU-Projekts JUSTeU, das noch bis Jänner 2019 läuft, rechtliche Standards für die klinischforensische Untersuchung von Gewaltopfern in Europa aus. schweren Körperverletzung ein.
„Häusliche Gewalt ist oft keine schwere Körperverletzung“, sagt Riener-Hofer und nennt beispielsweise blaue Flecken an den Armen, die vom Halten wider Willen herrühren. Gerade in diesen Fällen wäre es wünschenswert, ein niederschwelliges Angebot zur raschen Spurensicherung bereitzuhalten – auch wenn der konkrete Fall allein vielleicht noch zu keinem Prozess führt. Ein solches Angebot gibt es in Österreich bisher nur in Graz: Bei der klinisch-forensischen Untersuchungsstelle der Med-Uni Graz können Gewaltopfer Spuren sichern lassen, auch ohne zuvor Anzeige erstattet zu haben.
Zur Verbreiterung wäre es wichtig, auch behandelnde Ärzte etwa in der Gynäkologie und Kinderheilkunde für forensische Bedürfnisse zu sensibilisieren: Gerichtsmediziner könnten ihnen helfen einzuschätzen, ob es Hinweise auf sexualisierte Gewalt gibt, ob hinter einem „Sturz vom Dreirad“ganz anderes steckt. In der Steiermark gibt es dazu eine Rufbereitschaft, über die von Gewalt betroffene Personen und behandelnde Ärzte mit Gerichtsmedizinern Kontakt aufnehmen können (06648438241, werktags 8–16 Uhr, sonst 24 Std.) .
Riener-Hofers Institut ist für das interdisziplinäre EU-Projekt „JUSTeU“verantwortlich, das bis Ende Jänner Mindeststandards für die klinisch-forensische Untersuchung von Gewaltopfern ausarbeiten soll. Sie spricht sich dafür aus, in Österreich Netzwerke zwischen Gerichtsmedizinern und therapeutschen Ärzten zu verstärken. An die Opfer appelliert sie, die Unterstützung von Gewaltschutzzentren und ähnlichen Einrichtungen in Anspruch zu nehmen.