Leben im Müllfeuer Europas
Film. „Welcome to Sodom“von Christian Krönes und Florian Weigensamer porträtiert eine der giftigsten Schrottdeponien der Welt – und ist mehr Stimmungsstück als Themenfilm.
Müll, so weit das Auge reicht. Die Kamera macht einen 360°-Schwenk – wie um zu demonstrieren, dass es keinen Ausweg aus Sodom gibt. So nennen die Ghanesen Agbogbloshie, einen Slum ihrer Hauptstadt Accra – und zugleich eine der weltgrößten Deponien für Elektroschrott. Tonnenweise ausrangierte Gerätschaften aus Industriestaaten finden jährlich ihren illegalen Weg an diesen Ort – und werden von seinen Bewohnern, die anderswo keinen Job finden, nach wertvollen Rohstoffen wie Kupfer, Silber und Palladium durchkämmt. Diese können für Kleinstbeträge an Händler verkauft werden, die sie wieder ins Ausland schicken: ein Teufelskreis.
In der Doku „Welcome to Sodom“gewähren die Österreicher Christian Krönes und Florian Weigensamer (zuletzt in den Kinos präsent mit „Ein deutsches Leben“, ihrem Porträt der Goebbels-Sekretärin Brunhilde Pomsel) Einblick in diese apokalyptische Welt, die nur aus Abfall und Autowracks zu bestehen scheint – und dennoch funktioniert wie viele andere. Die Filmführung durchs Purgatorium fächert bekannte Hierarchien auf. Ganz unten die Sammler, die mit magnetisierten Lautsprecherkörben im Dreck wühlen oder Kabelsalate zu klebrigen Klumpen verkohlen. Der Plastikqualm verdunkelt den ohnehin schon aschfahlen Himmel. Man freut sich, dass man nicht im Geruchskino sitzt.
Weiter oben die Unternehmer, die die erbeuteten Metalle aufkaufen, nicht immer zu gerechten Preisen. Dazwischen Alltag wie in einem ganz normalen Dorf. Mitten im Gerümpel lässt sich jemand die Haare schneiden. Andere sehen fern, ein Wrestling-Match – nicht nur der Müll, auch die Unterhaltung kommt aus der Ersten Welt. Ein Rapper gibt seine Songs zum Besten, inspiriert vom Klang der Arbeit, der hier nie verstummt. In einer der brüchigen Holzhütten hat jemand ein Musikstudio eingerichtet. Weiter abseits klaubt ein Mann Sackerln auf. Er ist ein Fan von Shakespeare und Shaw, ein Intellektuel- ler. Hierher verschlagen hat es ihn aufgrund seiner Homosexualität, die in Ghana verboten ist. Agbogbloshie ist auch Sammelbecken für sozial Abgedrängte.
Kontext liefern die Menschen selbst, ihre Stimmen schildern in leicht stilisierten OffKommentaren Erfahrungen und Träume, zum Teil mit bitterer Ironie: „Wir sind die besten Recycler.“Viele wollen fort, nach Europa. Sie hoffen auf den großen JackpotFund, der die Reise bezahlen könnte. Kleinere Fundstücke nähren die Fantasie: Zwei Sammler blättern lachend durch den Fotospeicher eines Mobiltelefons, Urlaubsaufnahmen: „Die Weißen vergnügen sich zu viel.“Ein anderer paukt Begriffe aus einem Langenscheidt-Deutschwörterbuch. Manche wenden sich Religionen zu – Christen- tum, Islam. Ein Mädchen sehnt sich nach der schwerelosen Freiheit des Weltraums.
„Welcome to Sodom“wird vermarktet wie eine Themendoku, doch der VerleihUntertitel „Dein Smartphone ist schon hier“ist bloße Werbemasche. Zwar zielt der Film auf Systemkritik ab, aber sein Fokus liegt auf der Atmosphäre Agbogbloshies und dem Überlebenswillen der dortigen Einwohnerschaft. Damit steht er Werken wie Michael Glawoggers „Workingman’s Death“, namentlich dessen Nigeria-Episode, näher als den Arbeiten von Werner Boote oder Erwin Wagenhofer – auch wenn er nie an die erschütternde Unmittelbarkeit Glawogger’scher Bildergier herankommt. Womöglich gut so: Denn der Vorwurf der Ästhetisierung wäre dann bestimmt nicht weit.