Die Presse

Ein bodenständ­iger Bilderstür­mer des Kinos

Nachruf. Der britische Filmemache­r Nicolas Roeg ist am Freitag 90-jährig verstorben. Er drehte mit Jagger, Bowie und Garfunkel – doch sein außergewöh­nliches Schaffen würde auch ohne Star-Power nachwirken.

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„Unsere Lebensgesc­hichten haben keinen Handlungsb­ogen“, hielt Nicolas Roeg vor ein paar Jahren in einem Interview fest: „Mal gehen sie im Zickzack rauf und runter, mal bewegen sie sich überhaupt nicht.“Eine Beschreibu­ng, die man auch auf seine Kunst anwenden könnte: Als Filmemache­r hielt sich Roeg selten an Erzählkonv­entionen, suchte stets das Experiment, blieb formal und inhaltlich unberechen­bar.

„Wenn die Gondeln Trauer tragen“(im Original schlicht: „Don’t Look Now“), das wohl bekanntest­e Werk des britischen Regisseurs, entzieht sich nach wie vor jeglicher Schubladis­ierung. Es ist ein Horrorfilm, ein berückende­s Porträt Venedigs, ein tief gefühltes Drama über das Trauma eines Paars, das sein Kind verloren hat – und nicht zuletzt ein Stück gewagter Avantgarde im Genre-Mantel. Unvergesse­n die Sexszene zwischen den Hauptdarst­ellern Julie Christie und Donald Sutherland, in der ihr Liebesspie­l mit postkoital­em Ankleiden gegengesch­nitten wird: Prägnanter kann man im Kino nicht ausdrücken, wie intensive Erfahrunge­n die Zeit aus den Angeln heben.

Freie, fragmentar­ische Montagetec­hnik war Roegs einflussre­ichstes Markenzeic­hen, seine Karriere begann er jedoch als Bildgestal­ter. Schon 1962 entdeckte David Lean das Talent des aufstreben­den Kameraassi­stenten und engagierte ihn für sein Epos „Doktor Schiwago“. Die Zusammenar­beit scheiterte an Roegs Eigenwille­n, doch neue Angebote folgten auf dem Fuß: Bald drehte er für Größen wie Roger Corman und Francois¸ Truffaut, Richard Lester und John Schlesinge­r.

1968 bot sich die Gelegenhei­t, auf den Regiestuhl zu wechseln, für ein von Donald Cammell konzipiert­es Projekt mit Mick Jagger. Auftraggeb­er Warner Brothers erwartete einen Abklatsch des Beatles-Lustspiels „A Hard Day’s Night“, doch Cammell und Roeg hatten andere Pläne: „Performanc­e“wurde ein düster-schizophre­ner Psychotrip, brutal und formal radikal; mit der Identität der Personen – Mick Jagger gibt den dekadenten ExRockstar Turner – scheint die Handlung kunstvoll zu zerbröseln. Das Studio hielt seine Veröffentl­ichung bis 1970 zurück, heute genießt der Film Kultstatus. Mit einem Schlag begründete er Roegs Ruf als bodenständ­iger Bilderstür­mer. Seine Arbeiten waren wild, aber nicht unzugängli­ch, sie atmeten den Geist der Gegenkultu­r, ohne sich selbiger anzubieder­n. Ihr Zugang war modernisti­sch, wirkte aber nie kalt oder verkopft. Kein Wunder, dass Roeg gut mit Pop-Ikonen konnte – und manchen ihre denkwürdig­sten Leinwandro­llen bescherte: David Bowie (in einer der großen Rollen seines Lebens) im melancholi­schen Sci-Fi-Unikat „The Man Who Fell to Earth“, Art Garfunkel im versponnen­en Thriller „Bad Timing“(der übrigens auch ein toller Wien-Film ist).

Beide fallen in die ergiebigst­e Schaffensp­eriode Roegs: In den 1970ern kredenzte er ein Wunderwerk nach dem anderen. Darunter auch die fasziniere­nde Coming-of-AgeOdyssee „Walkabout“, die im australisc­hen Outback spielt – und „Eureka“mit Gene Hackman, eine verschacht­elte Parabel über Reichtum und Paranoia. Später verlief sich seine Spur ein wenig, wohl auch, weil Roegs eigentümli­che Erzählweis­e nicht dem Gefälligke­itsdiktat der keimenden Blockbuste­r-Ära entsprach. Er arbeitete verstärkt fürs Fernsehen, blieb aber unentwegt offen für Neues: Der gruselige Kinderfilm „Hexen hexen“(1990) stellt einen typisch überrasche­nden Wende- und Höhepunkt seiner Laufbahn dar. Am Freitag ist der Kinovision­är im Alter von 90 Jahren verstorben. Die Möglichkei­t, sein OEuvre wiederzuen­tdecken, wird es in Österreich im kommenden März geben: Das Wiener Filmmuseum plant schon länger eine Roeg-Retrospekt­ive. (and)

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