Syrien: Das geschundene Land, das aus vielen Wunden blutet
Assad hat zwar den Krieg gewonnen, aber sein Land wird unter ihm keinen Frieden finden, prophezeien Fachleute.
H ier ein Gefecht, da ein Luftangriff, dort ein Scharmützel. Aber verglichen mit anderen Zeiten ist es in Syrien ziemlich ruhig geworden, zuletzt waren so wenige Konfliktopfer wie nie seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 zu beklagen. Also wendet sich die Situation zum Besseren, hat gar ein Normalisierungsprozess eingesetzt? Syrien-Kenner warnen vor voreiligen Schlüssen.
Kirstin Helberg, Nahostexpertin in Berlin, schreibt in der Fachzeitschrift (8/2018) von „Grabesruhe“, die sich über Syrien gelegt habe: „Die Menschen sind zwar sicher vor Luftangriffen, nicht aber vor Milizionären und Geheimdiensten, vor Verhaftung und Folter, vor Vertreibung und Enteignung.“Syrien unter Assad bleibe eine zentralistische, totalitäre Diktatur. Und: „Die Ursachen des Aufstands wie Unterdrückung, Korruption, staatliche Willkür, Nepotismus bestehen ja fort.“Assad habe zwar – dank massiver militärischer Unterstützung aus Russland und dem Iran – den Krieg gewinnen können, aber Syrien unter seiner Herrschaft werde keinen Frieden finden.
Auch „Spiegel“-Reporter Christoph Reuter meint im selben Heft, dass Assad durch den eingeschlagenen „Pfad größtmöglicher Grausamkeit, der Zerstörung ganzer Städte, dem Einsatz chemischer Waffen, der gezielten Zerstörung von Krankenhäusern und Bäckereien“und der gezielten Verbreitung bodenloser Angst in der Bevölkerung jegliche Aussicht auf echte nationale Versöhnung längst verbaut habe. Zwar sei das große Töten in Syrien vorbei, „aber gelöst ist nichts, das Land liegt am Boden“.
Was für entsetzliche Wunden der Bürgerkrieg in der syrischen Gesellschaft geschlagen hat, vermittelt der Report des Beiruter Forscherteams „Synaps“, der in der Novemberausgabe von
abgedruckt ist. Das Team hat das Land nach dem mehr als sieben Jahre dauernden Morden ausgeleuchtet – und als Erstes ist ihm die Dezimierung der männlichen Bevölkerung aufgefallen: sei es durch Tötung („Die Friedhöfe sind voll von jungen Männern“), Vertreibung oder Flucht. Syriens Gesellschaft ist das Rückgrat gebrochen worden, auch die Synaps-Forscher meinen: „Fast alle Probleme, die zum Aufstand 2011 führten, haben sich eher noch verschärft. Inzwischen ist die staatliche Repression so stark, die Zivilgesellschaft so am Boden, dass eine breite Reformbewegung innerhalb der nächsten Generation undenkbar erscheint.“D ie Forscher schreiben von einer „bleiernen Atmosphäre“im Land, nicht nur wegen Überwachung, Einschüchterung und Repression, sondern auch wegen allgemeiner Erschöpfung und Zermürbung. Durch den Krieg haben sich Trennlinien in der Gesellschaft erweitert und neue aufgetan: zwischen Sunniten und Alawiten, zwischen Armen und Reichen, zwischen Stadt und Land, zwischen Damaskus und der Peripherie, zwischen Syrern innerhalb und außerhalb des Landes. Das Regime aber zeigt nicht das geringste Interesse, die Spaltungen überwinden zu helfen.
Nur, wer soll das Land wieder aufbauen? Russland und der Iran werden das nicht tun, die würden lieber endlich etwas für ihre jahrelange Unterstützung von den Syrern vergütet bekommen. Der Westen wird den Wiederaufbau gewiss auch nicht finanzieren, solange die Mittel durch die Hände des Assad-Regimes fließen: „Also wird es auf absehbare Zeit keine Erholung, keine ernsthaften Reformen und keine glaubhafte Aussöhnung geben“, lautet das düstere Resümee der Synaps-Forscher.