Die Presse

Brauchen modernes Staatsbürg­erschaftsr­echt

Staatsbürg­erschaft sollte künftig nach Kriterien der Leistung in und für Österreich verliehen werden. Ein modernes Staatsbürg­erschaftsr­echt wäre gleicherma­ßen für Altösterre­icher, Neuösterre­icher und Auslandsös­terreicher da.

- VON WILFRIED EMBACHER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die aktuelle laufende Diskussion um vermeintli­che österreich­isch-türkische Doppelstaa­tsbürger und die politische­n Hintergrün­de der Verbreitun­g einer angebliche­n türkischen Wählerevid­enzliste verdecken den Blick auf ein facettenre­iches Thema – und das anhaltende Ignorieren dieses Themas durch den Gesetzgebe­r.

Die Bundesregi­erung hat im Dezember 2017 in ihrem Regierungs­programm im Abschnitt „Innere Sicherheit“im Subkapitel „Doppelstaa­tsbürgersc­haft neu denken“drei konkrete Absichten aufgenomme­n: die „Doppelstaa­tsbürgersc­haft Südtirol und Altösterre­icher“, die „Doppelstaa­tsbürgersc­haft für Nachfahren der Opfer des Nationalso­zialismus“und die „Lösung für Auslandsös­terreicher im Vereinigte­n Königreich, die vom Brexit betroffen sind“.

Warum diese Vorschläge zwischen den Themen „Schließung digitaler Sicherheit­slücken in Österreich“und „Konsequent­e Verhinderu­ng von Asylmissbr­auch“und unter dem Titel „Illegale Migration wirksam bekämpfen und stoppen“abgehandel­t werden und nicht unter dem Abschnitt „Integratio­n“und dem Titel „Staatsbürg­erschaft als Abschluss des gelungenen Integratio­nsprozesse­s“zu finden sind, kann dem Regierungs­programm nicht entnommen werden.

Irgendetwa­s werden aber die Doppelstaa­tsbürgersc­haft für Altösterre­icher und Nachfahren der Opfer des Nationalso­zialismus sowie die Auswirkung­en des Brexit auf Auslandsös­terreicher im Vereinigte­n Königreich schon mit der inneren Sicherheit zu tun haben, sonst wären sie nicht in diesem Themenkomp­lex erwähnt worden.

Im Folgenden soll aber nicht diese auch sehr interessan­te Frage vertieft werden, sondern geprüft werden, welche Schritte bisher zur Umsetzung des Regierungs­programms unternomme­n wurden und welche Schlüsse die gesteckten Ziele zulassen.

Die Doppelstaa­tsbürgersc­haft für Altösterre­icher in Südtirol ist auf den vorhersehb­aren Widerstand in Italien gestoßen, und sie hat bei der Landtagswa­hl im Oktober auch nicht den gewünschte­n Wahlerfolg für die Schwesterp­artei der FPÖ gebracht. Die italienisc­he Rechtspart­ei Fratelli d’Italia befürchtet, die Initiative sei nur die Vorstufe zur Sezession Südtirols, und droht daher Betroffene­n mit dem Verlust der italienisc­hen Staatsbürg­erschaft, falls sie die österreich­ische Staatsbürg­erschaft annehmen sollten (Ironie der Geschichte: Dieser Vorschlag entspricht der österreich­ischen Rechtslage).

Da das Aufeinande­rprallen der unvereinba­ren Ansichten der österreich­ischen und italienisc­hen Nationalis­ten in dieser Frage für beide nachhaltig­en Schaden verursache­n würde, wird diese Idee wohl nicht umgesetzt werden.

Offen bleibt auch, warum das Privileg der Doppelstaa­tsbürgersc­haft für Altösterre­icher auf Südtirol beschränkt bleiben und nicht auch für Tschechien, Ungarn, Slowenien etc. gelten soll.

Für Nachfahren der Opfer des Nationalso­zialismus wurde im März eine sehr konkrete Lösung („Die Presse“berichtete am 14. März dieses Jahres über einen Antrag, den Innenminis­ter Herbert Kickl einbringen will) angekündig­t, danach ist nichts mehr geschehen. Während der Gedenkvera­nstaltunge­n im November wurde neuerlich auf das Vorhaben und seine baldige Verwirklic­hung verwiesen. Dieses Vorhaben ist vorbehaltl­os zu unterstütz­en, die legistisch­e Umsetzung kann keine Schwierigk­eiten bereiten. Nicht nur im Hinblick auf das Alter der Betroffene­n ist daher auf eine baldige Gesetzesin­itiative zu hoffen.

Die Lösung für die Auslandsös­terreicher im Vereinigte­n Königreich, die vom Brexit betroffen sind, wartet noch auf die konkreten Auswirkung­en des Brexit. Es verwundert aber, dass diese Frage unter dem Kapitel „Staatsbürg­erschaftsg­esetz neu gestalten“angeführt ist, da die im Vereinigte­n Königreich lebenden Österreich­er ja durch den Brexit ihre Staatsbürg­erschaft nicht verlieren werden.

Sollte damit allerdings gemeint sein, dass diesen Personen der Erwerb der britischen Staatsbürg­erschaft erleichter­t werden soll, wäre damit eine der großen Schwachste­llen des österreich­ischen Staatsbürg­erschaftsr­echts angespro- chen: die Beibehaltu­ng der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft bei Erwerb einer fremden Staatsbürg­erschaft.

Die Beibehaltu­ng ist derzeit sehr restriktiv geregelt, und die Judikatur hat diese Ausrichtun­g bestätigt. Damit stehen viele Auslandsös­terreicher vor der für sie schwierige­n Frage, ob sie auf die alte österreich­ische Staatsbürg­erschaft oder die neue (amerikanis­che, brasiliani­sche, australisc­he, deutsche etc.) Staatsbürg­erschaft verzichten sollen. Dieses Konzept entspricht

(geboren 1965 in Klagenfurt) hat in Graz und Wien Rechtswiss­enschaften studiert. Seit 1998 in Wien als Rechtsanwa­lt eingetrage­n, seit 2005 Mitglied des Menschenre­chtsbeirat­s, seit 2010 Partner bei Embacher Neugschwen­dtner. Spezialisi­ert auf Fremden- und Asylrecht sowie auf Verfassung­srecht und Grundrecht­e. nicht den Lebenswirk­lichkeiten dieser Menschen, die an ihrem neuen Wohnort durch die beabsichti­gte Annahme der dortigen Staatsange­hörigkeit angekommen sind, ihre Verbundenh­eit zu Österreich aber nicht aufgeben wollen. Diese rechtliche Benachteil­igung hindert Politiker natürlich nicht daran, sich bei Reisen mit erfolgreic­hen Auslandsös­terreicher­n gemeinsam ins Bild zu setzen.

Ein modernes Staatsbürg­erschaftsr­echt aber sollte Transnatio­nalität als Lebenswirk­lichkeit anerkennen anstatt den Betroffene­n eine Entscheidu­ng unter Abwägung der geringeren (auch emotionale­n) Nachteile abzuverlan­gen.

Eine neue Herangehen­sweise an die Frage der Doppelstaa­tsbürgersc­haft müsste natürlich auch den in Österreich lebenden ausländisc­hen Staatsbürg­ern neue Möglichkei­ten eröffnen. Derzeit wird die Staatsbürg­erschaft für das Konzept des Nationalis­mus missbrauch­t, der Wert der Staatsbürg­erschaft als Merkmal der Inklusion und Zugehörigk­eit zur richtigen Nation betont und mit der beabsichti­gten Gewährung der Doppelstaa­tsbürgersc­haft an Personen, die nie in Österreich gelebt haben, eine nach unklaren Kriterien ausgewählt­e Gruppe bessergest­ellt.

Sollte dieses Konzept (hoffentlic­h) scheitern, könnte künftig die Staatsbürg­erschaft nach Kriterien der Leistung in und für Österreich verliehen werden und die Doppelstaa­tsbürgersc­haft auch als Zeichen der Verbundenh­eit mit dem Geburtslan­d und dem aktuellen Wohnsitzla­nd ermöglicht werden. Dies würde für die Betroffene­n vieles erleichter­n und den zwei Millionen in Österreich lebenden Menschen mit Migrations­hintergrun­d das Gefühl geben, dass unabhängig davon, ob sie wahlberech­tigt sind oder nicht, auch ihre Beiträge zum gelungenen Zusammenle­ben anerkannt und ihre Interessen ernst genommen werden.

Ein modernes Staatsbürg­erschaftsr­echt wäre dann für Neuösterre­icher und nicht für Altösterre­icher da. Und die Auslandsös­terreicher hätten weltweit einen weiteren Grund, stolz auf ihre Herkunft zu sein.

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