Die zweifelhaften Bolsonaro-Boys
Brasilien. Wie sein Vorbild Trump bringt auch Brasiliens neuer Staatschef, Jair Bolsonaro, seine Kinder im Zentrum der Macht unter. Er hat die drei Söhne schon seit Jahren politisch gefördert. Sie sitzen in Rios Stadtrat und im Parlament.
Auf der Holztäfelung im Büro sind Polizeiabzeichen, Antiabtreibungsplakate und ein paar Sturmgewehrattrappen festgenagelt. Auf dem Sockel darüber befinden sich Spielzeugstreifenwagen und Plastikpuppen von George Washington, Ronald Reagan und Donald Trump. Auf der Zugangstür steht das Credo der National Rifle Association: „Wenn Waffen verboten werden, dann kriegen diese nur die Halunken.“
Nun, dieses Dienstzimmer gehört nicht einem Sheriff aus South Dakota. Es ist der Amtssitz des Mannes, der bei der Parlamentswahl am 7. Oktober so viele Stimmen wie kein brasilianischer Kongressabgeordneter zuvor bekommen hat. Der Vorname des Deputierten lautet Eduardo, aber sein Vater nennt ihn Nulldrei. „Bundespolizist, Anwalt und dritter Sohn von Jair Bolsonaro“. So stellt er sich auf Twitter vor, einem medialen Geschütz, mit dem er ebenso ballert wie mit richtigen Schießgeräten.
Zu Wochenanfang meldete sich Nulldrei aus der Herzkammer der Macht: „White House East Wing“stand als Ortsangabe zu einem Foto, das ihn mit einem Altersgenossen zeigt. Dazu der Text: „Einer der wichtigsten Berater des Weißen Hauses, erfolgreicher Unternehmer – und Schwiegersohn von Präsident Donald Trump“. Die Huldigung galt Jared Kushner, dem Mann von Trump-Tochter Ivanka. In Washington ist die Staatsmacht seit bald drei Jahren quasi ein Familienbetrieb. In Bras´ılia beginnt Ähnliches am Neujahrstag.
Sie sind zu viert: Vater Jair, der Ende Oktober die Stichwahl gegen den linken Lula-Ersatz Haddad mit mehr als 57 Millionen Stimmen gewonnen hat, das waren gut 55 Prozent. Der älteste Sohn, Flavio´ (daheim Nulleins), ebenfalls Anwalt, wird in den Senat einziehen. Carlos (Nullzwei), der Luft- und Raumfahrttechnik studierte, wurde mit 35 Jahren im Stadtparlament von Rio bestätigt. Und Eduardo, 34, wird seine zweite Amtszeit im Kongress antreten. Ab Jänner dürfte er freilich nicht mehr so viel Zeit für die Ausstattung seines Büros haben, denn die Bolsonaros wollen angeblich Brasilien retten. Für nichts weniger wurden sie gewählt.
Das wird hart. Südamerikas Riese kommt nach der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte von 2014 bis 2016 nur schwer auf die Füße. Offiziell sind immer noch mehr als 13 Millionen Menschen arbeitslos. In den Armenvierteln explodiert die Gewalt, seitdem Anfang 2017 die beiden größten Drogenkartelle einen Nichtangriffspakt gebrochen haben. 2017 wurden mehr als 67.000 Brasilianer umgebracht, diese Zahl ist höher als die aller gefallenen US-Soldaten in Vietnam. Und die Staatsschulden wachsen. Sie könnten bald außer Kontrolle geraten, warnte der Internationale Währungsfonds im Frühjahr.
Welchen Kurs die Bolsonaros nun einschlagen wollen, ist den Brasilianern – und auch den ausländischen Regierungen und Investoren – bisher nur zum Teil klar. Zumindest weltanschaulich ließ der Clan wenig Fragen offen. Jair empfiehlt Vätern seit Jahren, ihren Söhnen Homosexualität „mit der Peitsche auszutreiben“. Und gegen Gewalt heißt sein Mittel: Gegengewalt. Stolz erzählte er, dass alle seine Söhne mit fünf Jahren das Schießen erlernt hätten. „Und zwar mit echten Waffen.“
In der Wahlkampagne spielten Vater Jair und Sohn Eduardo Good Cop und Bad Cop. Dabei legte der Jüngere vor, etwa mit der These, konservative Frauen seien ansehnlicher als linke und zudem hygienischer, denn „sie demonstrieren nicht barbrüstig und verrichten auch nicht ihren Stuhlgang auf offener Straße“. In Folge musste der Senior um Entschuldigung bitten.
In Bras´ılia erinnert Eduardo mit seiner Angriffslust viele an den frühen Jair, der in die Politik wechselte, nachdem ihn die Streitkräfte hinausgeworfen hatten. Er hatte gegen die maue Bezahlung der Soldaten protestiert und war mit seinen Vorwürfen gar an die Medien gegangen. Dieselben Medien übrigens, die von den Bolsonaros nun heftig attackiert werden.
Carlos, der Luftfahrtingenieur, der im Wahlkampf Hunderte FakeNews-Videos auf Millionen WhatsApp-Konten versendet hat, spricht grundsätzlich nur von „Dreckschleudern“, wenn er sich etwa auf das Riesennetzwerk Globo oder die Tageszeitung „Folha de Sao˜ Paulo“bezieht. Das Blatt, eines der prestigeträchtigsten Organe ganz Lateinamerikas, hat die Vermögensverhältnisse des Clans hinterfragt. Carlos hatte auch Freude daran, Bilder von Folteropfern der Militärdiktatur zu verbreiten.
Wegen dieser Aggressivität bekam Carlos schon öfter Ärger mit dem Erstgeborenen, Flavio,´ der ebenfalls im Stadtrat von Rio saß. 2016, während seiner Kandidatur für das Bürgermeisteramt von Rio wurde ihm vor laufender TV-Kamera übel und er bekam Hilfe von einer Kollegin, die ausgerechnet für die kommunistische Partei kandidierte. Nachdem Flavio´ sich darauf via Twitter bedankte, ging der Zweitgeborene bei Papa petzen. Dieser – fuchsteufelswild – belegte den
So lauthals Jair Bolsonaro seit seinen Anfängen Korruption anklagte, so wenig Probleme hatte er damit, die Verwandtschaft an strategisch wichtigen Stellen zu positionieren. Diese Taktik bewahrt er bis heute. Eduardo repräsentiert im Kongress den größten und reichsten Bundesstaat, Sao˜ Paulo. Und Flavio´ ist Senator für den Heimatstaat des Clans, Rio de Janeiro.
„Da Bolsonaro keine starke Parteistruktur zur Seite steht, wird er sich auf persönliche Bindungen stützen, vor allem auf seine Familie“, schätzt der uruguayische Politologe Francisco Panizza, der an der London School of Economics forscht. Tatsächlich dürften Eduardo im Kongress und Flavio´ im Senat versuchen, wichtige Ausschüsse zu leiten, etwa für Innenund Außenpolitik. Beide sind Teil des Teams, das die Transition von der bisherigen Regierung des korruptionsverdächtigen Präsidenten Michel Temer zur neuen Bolsonaro-Mannschaft organisiert.
Einen ersten Rückschlag musste das Familienprojekt schon einstecken. Nachdem der Vater Carlos als Minister für Kommunikation ins Spiel gebracht hatte, begann Bras´ılia zu beben. Nepotismus könnte ein Delikt sein, der ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertigen könnte. Nach Konsultationen mit den Familienanwälten sagte Nullzwei geschwind „adeus“und machte sich auf den Rückweg nach Rio, in den Stadtrat. Und der Patriarch versicherte: „Ich würde niemals Nepotismus praktizieren. Das ist nichts für mich.“