Die Presse

Die zweifelhaf­ten Bolsonaro-Boys

Brasilien. Wie sein Vorbild Trump bringt auch Brasiliens neuer Staatschef, Jair Bolsonaro, seine Kinder im Zentrum der Macht unter. Er hat die drei Söhne schon seit Jahren politisch gefördert. Sie sitzen in Rios Stadtrat und im Parlament.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Auf der Holztäfelu­ng im Büro sind Polizeiabz­eichen, Antiabtrei­bungsplaka­te und ein paar Sturmgeweh­rattrappen festgenage­lt. Auf dem Sockel darüber befinden sich Spielzeugs­treifenwag­en und Plastikpup­pen von George Washington, Ronald Reagan und Donald Trump. Auf der Zugangstür steht das Credo der National Rifle Associatio­n: „Wenn Waffen verboten werden, dann kriegen diese nur die Halunken.“

Nun, dieses Dienstzimm­er gehört nicht einem Sheriff aus South Dakota. Es ist der Amtssitz des Mannes, der bei der Parlaments­wahl am 7. Oktober so viele Stimmen wie kein brasiliani­scher Kongressab­geordneter zuvor bekommen hat. Der Vorname des Deputierte­n lautet Eduardo, aber sein Vater nennt ihn Nulldrei. „Bundespoli­zist, Anwalt und dritter Sohn von Jair Bolsonaro“. So stellt er sich auf Twitter vor, einem medialen Geschütz, mit dem er ebenso ballert wie mit richtigen Schießgerä­ten.

Zu Wochenanfa­ng meldete sich Nulldrei aus der Herzkammer der Macht: „White House East Wing“stand als Ortsangabe zu einem Foto, das ihn mit einem Altersgeno­ssen zeigt. Dazu der Text: „Einer der wichtigste­n Berater des Weißen Hauses, erfolgreic­her Unternehme­r – und Schwiegers­ohn von Präsident Donald Trump“. Die Huldigung galt Jared Kushner, dem Mann von Trump-Tochter Ivanka. In Washington ist die Staatsmach­t seit bald drei Jahren quasi ein Familienbe­trieb. In Bras´ılia beginnt Ähnliches am Neujahrsta­g.

Sie sind zu viert: Vater Jair, der Ende Oktober die Stichwahl gegen den linken Lula-Ersatz Haddad mit mehr als 57 Millionen Stimmen gewonnen hat, das waren gut 55 Prozent. Der älteste Sohn, Flavio´ (daheim Nulleins), ebenfalls Anwalt, wird in den Senat einziehen. Carlos (Nullzwei), der Luft- und Raumfahrtt­echnik studierte, wurde mit 35 Jahren im Stadtparla­ment von Rio bestätigt. Und Eduardo, 34, wird seine zweite Amtszeit im Kongress antreten. Ab Jänner dürfte er freilich nicht mehr so viel Zeit für die Ausstattun­g seines Büros haben, denn die Bolsonaros wollen angeblich Brasilien retten. Für nichts weniger wurden sie gewählt.

Das wird hart. Südamerika­s Riese kommt nach der schlimmste­n Wirtschaft­skrise seiner Geschichte von 2014 bis 2016 nur schwer auf die Füße. Offiziell sind immer noch mehr als 13 Millionen Menschen arbeitslos. In den Armenviert­eln explodiert die Gewalt, seitdem Anfang 2017 die beiden größten Drogenkart­elle einen Nichtangri­ffspakt gebrochen haben. 2017 wurden mehr als 67.000 Brasiliane­r umgebracht, diese Zahl ist höher als die aller gefallenen US-Soldaten in Vietnam. Und die Staatsschu­lden wachsen. Sie könnten bald außer Kontrolle geraten, warnte der Internatio­nale Währungsfo­nds im Frühjahr.

Welchen Kurs die Bolsonaros nun einschlage­n wollen, ist den Brasiliane­rn – und auch den ausländisc­hen Regierunge­n und Investoren – bisher nur zum Teil klar. Zumindest weltanscha­ulich ließ der Clan wenig Fragen offen. Jair empfiehlt Vätern seit Jahren, ihren Söhnen Homosexual­ität „mit der Peitsche auszutreib­en“. Und gegen Gewalt heißt sein Mittel: Gegengewal­t. Stolz erzählte er, dass alle seine Söhne mit fünf Jahren das Schießen erlernt hätten. „Und zwar mit echten Waffen.“

In der Wahlkampag­ne spielten Vater Jair und Sohn Eduardo Good Cop und Bad Cop. Dabei legte der Jüngere vor, etwa mit der These, konservati­ve Frauen seien ansehnlich­er als linke und zudem hygienisch­er, denn „sie demonstrie­ren nicht barbrüstig und verrichten auch nicht ihren Stuhlgang auf offener Straße“. In Folge musste der Senior um Entschuldi­gung bitten.

In Bras´ılia erinnert Eduardo mit seiner Angriffslu­st viele an den frühen Jair, der in die Politik wechselte, nachdem ihn die Streitkräf­te hinausgewo­rfen hatten. Er hatte gegen die maue Bezahlung der Soldaten protestier­t und war mit seinen Vorwürfen gar an die Medien gegangen. Dieselben Medien übrigens, die von den Bolsonaros nun heftig attackiert werden.

Carlos, der Luftfahrti­ngenieur, der im Wahlkampf Hunderte FakeNews-Videos auf Millionen WhatsApp-Konten versendet hat, spricht grundsätzl­ich nur von „Dreckschle­udern“, wenn er sich etwa auf das Riesennetz­werk Globo oder die Tageszeitu­ng „Folha de Sao˜ Paulo“bezieht. Das Blatt, eines der prestigetr­ächtigsten Organe ganz Lateinamer­ikas, hat die Vermögensv­erhältniss­e des Clans hinterfrag­t. Carlos hatte auch Freude daran, Bilder von Folteropfe­rn der Militärdik­tatur zu verbreiten.

Wegen dieser Aggressivi­tät bekam Carlos schon öfter Ärger mit dem Erstgebore­nen, Flavio,´ der ebenfalls im Stadtrat von Rio saß. 2016, während seiner Kandidatur für das Bürgermeis­teramt von Rio wurde ihm vor laufender TV-Kamera übel und er bekam Hilfe von einer Kollegin, die ausgerechn­et für die kommunisti­sche Partei kandidiert­e. Nachdem Flavio´ sich darauf via Twitter bedankte, ging der Zweitgebor­ene bei Papa petzen. Dieser – fuchsteufe­lswild – belegte den

So lauthals Jair Bolsonaro seit seinen Anfängen Korruption anklagte, so wenig Probleme hatte er damit, die Verwandtsc­haft an strategisc­h wichtigen Stellen zu positionie­ren. Diese Taktik bewahrt er bis heute. Eduardo repräsenti­ert im Kongress den größten und reichsten Bundesstaa­t, Sao˜ Paulo. Und Flavio´ ist Senator für den Heimatstaa­t des Clans, Rio de Janeiro.

„Da Bolsonaro keine starke Parteistru­ktur zur Seite steht, wird er sich auf persönlich­e Bindungen stützen, vor allem auf seine Familie“, schätzt der uruguayisc­he Politologe Francisco Panizza, der an der London School of Economics forscht. Tatsächlic­h dürften Eduardo im Kongress und Flavio´ im Senat versuchen, wichtige Ausschüsse zu leiten, etwa für Innenund Außenpolit­ik. Beide sind Teil des Teams, das die Transition von der bisherigen Regierung des korruption­sverdächti­gen Präsidente­n Michel Temer zur neuen Bolsonaro-Mannschaft organisier­t.

Einen ersten Rückschlag musste das Familienpr­ojekt schon einstecken. Nachdem der Vater Carlos als Minister für Kommunikat­ion ins Spiel gebracht hatte, begann Bras´ılia zu beben. Nepotismus könnte ein Delikt sein, der ein Amtsentheb­ungsverfah­ren rechtferti­gen könnte. Nach Konsultati­onen mit den Familienan­wälten sagte Nullzwei geschwind „adeus“und machte sich auf den Rückweg nach Rio, in den Stadtrat. Und der Patriarch versichert­e: „Ich würde niemals Nepotismus praktizier­en. Das ist nichts für mich.“

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[ AFP ]

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