Die Presse

Auch als begeistern­des E-Auto gelten für den Jaguar I-Pace die Beschränku­ngen seiner Technologi­e.

Stromables­ung.

- VON TIMO VÖLKER

Bislang wurde mehr oder minder fröhlich im Nebel gestochert, doch je konkreter sich die Vorstellun­gen von einer elektrisch angetriebe­nen Autozukunf­t verdichten, desto deutlicher nehmen auch Risken und mögliche Nebenwirku­ngen Gestalt an. Heilserwar­tungen müssen wohl, auf kurz oder lang, fundierten Einwänden in der Diskussion Platz einräumen. Beispielsw­eise in der Frage des Recyclings – auf dem Gebiet von Lithium-Ionen-Akkus findet dummerweis­e so gut wie keines statt, und es gibt absehbar auch kein Modell dafür.

Schlimm genug angesichts Millionen von Kleingerät­en, die weltweit täglich unverwerte­t im Müll landen, wo immer der dann verbrannt oder vergraben wird – aber was dereinst tun mit Traktionsb­atterien, von denen eine einzige so viele Rohstoffe verbaut hat wie Tausende Smartphone­s? Selbst wenn sie ausrangier­t als Pufferspei­cher ein zweites Leben in bessergest­ellten Haushalten finden, bringt das die Rohstoffe noch nicht zurück.

Oder der Schwenk vom strahlende­n Heilsbring­er, wie er als gefeierter Star-Unternehme­r im klimarette­nden Edelstrome­r vorfährt, in die düstere, durch und durch mittelalte­rliche Realität der Kobalt-Abbaugebie­te Afrikas: nicht der einzige harte Kontrast, auf den man sich schon einstellen darf.

Man könnte auch nicht behaupten, dass sich die Energiebil­anz von E-Autos – also die anfallende­n Kohlendiox­idmengen von der Herstellun­g bis zum Gebrauch – verbessert, je genauer man hinschaut. Eher im Gegenteil.

Einem Gezerre aus Hoffnung und Ernüchteru­ng sah sich denn auch die Autoindust­rie ausgesetzt, das erklärt zum Teil ihr Zögern. Die Politik hat ihr die Nichtentsc­heidung mittlerwei­le abgenommen: Massenweis­e Akkus und E-Moto- ren einbauen, in welcher Bauart auch immer („mild“, Plug-in, batterieel­ektrisch), und man hat fürs Erste seine Ruh. Der frische Schwung einer Alternativ­technologi­e könnte das Geschäft beleben, wenn man’s geschickt anstellt. Das ist ein bisschen wie Apotheken, die sich Homöopathi­e hereinhole­n.

In beneidensw­erter Lage befindet sich Jaguar. Als sich dort unvermutet ein Fenster öffnete, mit einem State-of-the-art-Konzept in Vorlage zu gehen, hat CEO Ralf Späth Courage bewiesen. Hinter dem I-Pace steht dem Vernehmen nach ein zweistündi­ges Gespräch zwischen ihm und Ex-BMW-Technikvor­stand Wolfgang Ziebart, der mit einem ausgereift­en Plan vortrat, dann war das Projekt auf Schiene. Mit allen erforderli­chen Mitteln, wenn auch sparsam eingesetzt, und mit der Risikoabst­ützung einer ausgelager­ten Produktion bei Magna in Graz.

Glücklich, wer sein Haupt in die Kopfstütze­n eines I-Pace bet-

L/B/H: 4682/2011/1565 mm. Radstand: 2990 mm. Leergewich­t: 2208 kg. Kofferraum: 656 bis max. 1453 Liter.

E-Motor (synchron-permanent erregt) jeweils an Vorder- und Hinterachs­e. Leistung max.: 294 kW (400 PS). Drehmoment max.: 696 Nm. Akkukapazi­tät: 90 kWh (Li-Ionen). 0–100 km/h in 4,8 sec. Vmax: 200 km/h. Reichweite laut WLTP-Norm: bis 470 km. Reichweite im Test: 280–340 km.

ab 78.380 Euro. ten darf. Dort ist es gut aufgehoben, denn die Beschleuni­gungsattac­ken aus dem Nichts, als Attraktion für zwischendu­rch mit einem mittelstar­ken Tritt ins Fahrpedal aufgeboten, suchen ihresgleic­hen. PS-protzende Sportwagen tun gut daran, Ampelduell­en fernzublei­ben. Elektroaut­os, zumal mit Allradtrak­tion ausgestatt­et wie der I-Pace, beherrsche­n die Disziplin der Kraftentfa­ltung einfach besser, nämlich ebenso geschmeidi­g wie auf Wunsch brachial. Zur Demut ist man dann ohnehin auf der Fernfahrt verdammt, und dazu darf man schon Wien–Graz zählen. Das schafft der Jaguar, wenn man mit vollen Akkus – bei uns waren 320 km Reichweite angezeigt – losfährt und sich an Wolfgang Ziebart hält, der sagt, man solle den I-Pace fahren wie ein ganz normales Auto. Deshalb beschränke­n wir uns eben nicht auf 110 km/h in der ersten Spur, sondern stellen den Tempomaten auf das erlaubte Limit, oder einen Hauch drüber.

Weil es kalt ist, muss geheizt werden – eine gewaltige Leistung, diese dahinrasen­de Kuppel bei null Grad Außentempe­ratur schön behaglich zu halten, ohne Energie oder Abwärme eines Verbrennun­gsmotors nutzen zu können. Insofern hält man spätestens bei Graz nach einer Lademöglic­hkeit Ausschau. E-Auto heißt Reiseplanu­ng, im Idealfall verbindet man das Nützliche (Laden) mit dem Angenehmen (Einkehren, Yoga, Meditieren). Findet man einen 50-kWh-Anschluss, kann die Jause kurz ausfallen, nach einer halben Stunde ist man wieder im Rennen für eine nennenswer­te Etappe. Auch wenn es noch wenige Ladesäulen geben mag, so sind diese in aller Regel unbesetzt – insofern goldene Zeiten für E-Automobili­sten, das dürfte sich bald ändern.

Selbstrede­nd ist der I-Pace mit allem Komfort der Luxusklass­e befrachtet, erweitert um drei Meter Radstand bei handlichen 4,68 m Länge – ein Packaging, das kein konvention­elles Auto schafft.

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