Einfluss der Muslimbrüder wächst
Politischer Islam. Extremismusforscher Lorenzo Vidino zufolge gehören Vertreter der Muslimbruderschaft in Österreich zu den ersten Ansprechpartnern für Regierung, Medien und Behörden.
Die Muslimbruderschaft ist für den Extremismusforscher Lorenzo Vidino von der George-Washington-Universität im Begriff, in Österreich nicht nur de facto, sondern bald auch offiziell der erste Ansprechpartner für die Regierung zu werden, wenn es um religiöse Fragen geht. Möglich wurde das durch eine von langer Hand vorbereitete Infrastruktur mit Beziehungen zu sozialen Organisationen, Bildungseinrichtungen, religiösen Vertretungen und Unternehmen.
Wie hoch ist der Einfluss der Muslimbruderschaft in Österreich wirklich? Und welche Agenda verfolgt die Gemeinschaft? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten. Lorenzo Vidinos Ende 2017 veröffentlichter Studie „The Muslim Brotherhood in Austria“zufolge hat die Muslimbruderschaft in Österreich ein dichtes, nachhaltiges Netzwerk aus sozialen Organisationen, Bildungseinrichtungen und Unternehmen aufgebaut, das wegen ihrer Professionalität und Intransparenz schwer zu bekämpfen sein wird. Man habe also in strategisch wichtigen Stellen Anhänger dieser Ideologie bzw. ihr nahestehende Personen installiert, sagt Vidino im „Presse“-Gespräch. Er nahm am Donnerstag bei einer Sitzung des Integrationsbeirats des Außenministeriums teil, um über Extremismus, Radikalisierung und politischen Islam zu referieren.
Der Italiener beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit den Aktivitäten der Muslimbruderschaft in Europa sowie mit Mobilisierungsdynamiken jihadistischer Netzwerke. Als Quellen für seine Studie aus dem vergangenen Jahr dienten unter anderem bestehende Publikationen, Zeitungsartikel, Beiträge aus sozialen Medien und Gerichtsprotokolle. Die Agenda besteht im Wesentlichen aus drei Zielen: innerhalb der muslimischen Gemeinde die eigene Interpretation des Islam zu etablieren, die offiziellen Repräsentanten der Muslime in Österreich zu werden und somit stets der erste und einzige Ansprechpartner für Regierung und Medien zu sein, und die Innen- und Außenpolitik Österreich mitzubestimmen – wenn es etwa um Themen wie das Kopftuchverbot oder die Positionierung in der Palästina-Frage geht.
All diese Ziele verfolge man mit Disziplin und langem Atem, weswegen vor allem das Ziel, primärer Ansprechpartner innerhalb und außerhalb der muslimischen Gemeinde zu sein, praktisch erreicht sei – etwa durch den Einfluss auf die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) und ihre Ausbildungsstelle für Imame, was von der IGGÖ zurückgewiesen wird. Die Finanzierung besteht Vidino zufolge aus vier Säulen: aus Beiträgen der Mitglieder selbst, von denen viele erfolgreiche Geschäftsleute seien, aus Spenden der Anhänger, für die regelmäßig soziale Aktivitäten organisiert werden, aus Förderungen durch den Staat, der scheinbare Integrations- und Antiradikalisierungsprogramme beispielsweise für Flüchtlinge unterstütze, und durch Gelder aus dem Ausland, früher aus Saudiarabien und Kuwait, heute vermehrt aus Katar und der Türkei.
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Seit der AKP-Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan,˘ der seit jeher Verbindungen zur Muslimbruderschaft pflege. Die türkische Religionsbehörde Diyanet (mit der österreichischen Vertretung Atib) bzw. der türkische Ver- band Milli Görüs (Islamische Föderation in Österreich) sind laut Vidino mit der Muslimbruderschaft „befreundete Organisationen“. Vor allem in den vergangenen zehn Jahren seien die Kontakte intensiviert worden. Wer etwa mit hochrangigen Vertretern der Muslimbruderschaft reden will, müsse zumeist nach Istanbul reisen.
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Die Muslimbruderschaft, 1928 in Ägypten gegründet, verbreitet sich bereits seit den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren auch in vielen westlichen Ländern. Ziel ist laut Vidino „die graduelle Islamisierung der Gesellschaft“.
Die Muslimbrüder würden auf eine Spaltung der Gesellschaft und eine Stärkung des Einflusses des politischen Islam abzielen. So werde etwa eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam pauschal als Islamophobie bezeichnet und kategorisch abgelehnt.