Die Presse

„Ich war von Kerns Vorgangswe­ise irritiert“

Interview. SPÖ-Spitzenkan­didat für die Europawahl Andreas Schieder übt scharfe Kritik an der EU-Vorsitzfüh­rung und der Sozialpoli­tik der Regierung. Sein Ziel für die Wahl im kommenden Mai ist die Rückkehr seiner Partei auf Platz eins.

- VON WOLFGANG BÖHM

Die Presse: Sie kandidiere­n als Spitzenkan­didat bei der Europawahl. Die Vorzeichen für die SPÖ sind nicht gerade gut. Laut Umfragen muss sie kämpfen, um nicht auf den dritten Platz abzusteige­n. Außerdem schlägt sich die SPÖ bei Europawahl­en meist schlechter als bei Nationalra­tswahlen. Warum tun Sie sich das an? Andreas Schieder: Da geht es nicht um mich. Viele Fragen unserer Zeit müssen auf europäisch­er Ebene beantworte­t werden – nämlich Steuergere­chtigkeit, soziale Gerechtigk­eit oder die Fragen des Klima- und Naturschut­zes. Europa hat immer schon zu meinem Leben gehört. Ich habe vor mehr als einem Vierteljah­rhundert die europäisch­en Jungsozial­isten mitbegründ­et. Es geht nicht darum, auf welcher politische­n Ebene man arbeitet, sondern darum, wofür man steht.

Was ist Ihr Wahlziel? Bei der letzten Wahl 2014 erreichte die SPÖ 24 Prozent. Unser Ziel ist es, stärkste Partei zu werden. Konkret wollen wir das sechste Mandat holen. Dann könnte mit Julia Herr eine ganz junge, engagierte Frau ins Europaparl­ament einziehen.

Bis auf Evelyn Regner hat die SPÖ die gesamte Liste ausgetausc­ht. Gerade im Europaparl­ament sind Erfahrung und Vernetzung wichtig. Ist das kein Nachteil? Nein. Wichtig ist eine politische Erfahrung. Und die kann man unterschie­dlich sammeln. Mit Bettina Vollath, Finanzland­esrätin und ehemalige Landtagspr­äsidentin, haben wir jemanden, der hervorrage­nde politische Erfahrung hat. Mit Hannes Heide, dem Bürgermeis­ter von Bad Ischl, ebenfalls. Oder mit Günther Sidl, der Mitarbeite­r im Europäisch­en Parlament war und seit Jahren im niederöste­rreichisch­en Landtag tätig ist. Evelyn Regner haben Sie selbst erwähnt. Und für mich kann ich in Anspruch nehmen, dass ich sowohl im Rat der EU als Finanzstaa­tssekretär tätig war als auch im Ausschuss der Regionen. Sie haben schon Ihre politische­n Inhalte angesproch­en, vor allem jene, die zur SPÖ passen. Die letzten Wahlkämpfe haben sich aber immer wieder um die Migrations­frage gedreht. Haben Sie andere Lösungen anzubieten als die regierende­n Parteien? Unser Ansatz ist es, dass die Herausford­erung der Migration nur europaweit beantworte­t werden kann. Das heißt: Schutz der Außengrenz­en, ein harmonisie­rtes Asylverfah­ren in ganz Europa, eine Aufteilung der Menschen auf alle Mitgliedst­aaten. Ich stehe auch für ein Europa, in dem geholfen statt gehetzt wird. Und das ist der entscheide­nde Unterschie­d zu den Rechten in Europa. Ich mache keine Symbolpoli­tik wie Bundeskanz­ler Kurz, der immer dann von Migration redet, wenn er es braucht, um seine bedenklich­en Vorhaben in der Innenpolit­ik zu überdecken. Immer wenn Sozialabba­u betrieben wird, redet Sebastian Kurz über die Migration. Getan hat er bei diesem Thema gar nichts. Der ZDF-Korrespond­ent in Brüssel twitterte zuletzt, dass die österreich­ische Präsidents­chaft weder bei der Digitalste­uer noch bei der Sozialharm­onisierung oder in der Migrations­frage irgendetwa­s weitergebr­acht hat.

Aber wie kann etwa die mangelnde Solidaritä­t in der Migrations­frage aufgelöst werden? Das löst man sicher nicht dadurch, dass man selbst nicht solidarisc­h ist. Diesen Weg hat die Regierung nicht erst mit der Ablehnung des UN-Migrations­pakts eingeschla­gen, sondern schon davor. Österreich­s Platz darf nicht bei den Visegrad-´Staaten sein. Unser Platz ist im Herzen Europas – auch als Vermittler. Ich hätte mir erwartet, dass Österreich aktuell eine Vermittler­rolle zwischen der Ukraine und Russland einnimmt.

Sie haben am Parteitag den Nationalis­mus in Europa und das einseitige Beharren auf nationalen Interessen kritisiert. Aber ist Ihre Partei da so viel besser? Sie haben einst in der Regierung Kern/Mitterlehn­er auch die Kürzung der Familienbe­ihilfe für Arbeiter aus Osteuropa mitgetrage­n. Wenn ich den Unterschie­d zwischen sozialdemo­kratischer Politik und nationalis­tischer Politik Klavier spielen könnte, wäre ich bes- ser als Rudolf Buchbinder. Wir waren immer dafür, dass die Maßnahmen, die Österreich setzt, auch europarech­tlich möglich sind. Zum Zweiten: Die aktuelle Regierung hat eine Kürzung des untersten sozialen Sicherheit­snetzes vorgenomme­n – bei der Mindestsic­herung. Durch diese Regierung von Nationalis­ten und Konservati­ven wird den Ärmsten der Armen Geld weggenomme­n. Gleichzeit­ig wird zugesehen, wie die Reichsten der Gesellscha­ft ihre Pfründe und Privilegie­n ausbauen können. Die Sozialdemo­kratie hat das Gegenteil gemacht – auch in der Regierung. Wir haben eine Immobilien­spekulatio­nssteuer eingeführt, die Aktienspek­ulationsst­euer erhöht. Wir haben gleichzeit­ig geschaut, dass die Mindestsic­herung, die Arbeitsmar­ktpolitik mit mehr Mitteln ausgestatt­et wurden. Es gibt aber zweifellos auch in der Sozialdemo­kratie mehrere Strömungen, eine linksliber­ale, offene und auch eine, die auf nationale oder regionale Interessen pocht, a` la Niessl. Auf nationale Interessen pocht niemand in der SPÖ. Es gibt Strömungen, die mehr sicherheit­sorientier­t sind, und welche, die liberaler sind. Und es gibt Lokalpolit­iker, die auf ihr Bundesland schauen. Gemeinsam sind wir eine Sozialdemo­kratie.

Sie haben den österreich­ischen EU-Vorsitz kritisiert. Aber wenn Sie ehrlich sind: Viele Bemühungen sind ja nicht an der Moderation des Vorsitzlan­des gescheiter­t, sondern an einzelnen Ländern, die diese blockiert haben – etwa bei der Dublin-Reform oder beim Schutz der Außengrenz­en. Da haben Sie recht. Der Erfolg einer EU-Präsidents­chaft hängt nicht nur vom Vorsitzlan­d ab, sondern auch von den anderen Mitgliedst­aaten. Nur wenn man selbst, wie es die österreich­ische Präsidents­chaft getan hat, einen Sozialmini­sterrat absagt, wenn verhindert wird, dass über die Einrichtun­g einer Arbeitsbeh­örde debattiert wird, dann ist es ein Vorsitz der vertanen Chancen.

Sie haben am Parteitag gesagt, wenn die SPÖ so weitermach­e, würden sie immer weniger Menschen wählen – und das zu Recht. Haben Sie das auf den Inhalt oder auf die internen Kontrovers­en bezogen? Ich habe das auf die vergangene­n Wochen bezogen, in denen wir uns vor allem mit uns selbst beschäftig­t haben. Und das halte ich für einen schweren Fehler. Eine Partei wie die SPÖ darf sich nicht mit sich selbst, sondern muss sich mit den Lebensumst­änden der Menschen beschäftig­en. Jetzt haben wir das aber zum Glück hinter uns.

Waren Sie irritiert, als sich Ihr ehemaliger Vorsitzend­er Christian Kern zuerst als EU-Spitzenkan­didat aufstellen ließ, um kurz darauf gänzlich abzutreten? Ich war von all diesen Vorgängen überrascht, irritiert und auch stark verwundert. Es ist gut, dass wir das nun klären konnten.

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[ Clemens Fabry ] Andreas Schieder kritisiert die Abwicklung des österreich­ischen Vorsitzes als „vertane Chance“.

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