Die Presse

Ein Märchen voll Kinnhaken und Entgleisun­gen

Boxen. Tyson Fury war depressiv, drogensüch­tig und dachte 2016 an Suizid. Jetzt steht der britische Ex-Weltmeiste­r, 30, wieder im Ring und will WBC-Champion werden. Gelingt das, könnte er im April 2019 sogar Ringgeschi­chte schreiben.

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Amerika erwartet nach Jahren der Stagnation wieder einen großen Boxkampf im Schwergewi­cht. Am Samstagabe­nd (Sonntag, sechs Uhr früh MESZ, live, Dazn) im Staples Center von Los Angeles ist es so weit: Es steht der mit Spannung erwartete Fight zwischen WBC-Weltmeiste­r Deontay Wilder aus den USA und dem großmäulig­en Klitschko-Bezwinger Tyson Fury aus Großbritan­nien auf dem Programm. „Spargeltar­zan“, „Penner“, geiferte Fury in gewohnter verbal Offensive. „Ich habe in die Augen von Killern gesehen, und jetzt sah ich nur ein Kätzchen“, entgegnete Wilder.

Beide Boxer sind unbesiegt. Wilder, genannt Bronze-Bomber, gewann seine 40 Profikämpf­e, davon unglaublic­he 39 durch K. o. Fury siegte 27-mal (19 K. o.). „Ich werde ihm so lang ins Gesicht schlagen, bis er so aussieht wie der Clown, der er ist“, pöbelte Fury. Der 2,06 Meter große Brite provoziert seinen Gegner genau so, wie er es schon mit Wladimir Klitschko getan hat. Mit zum Teil absurdem Geschwafel will er den Amerikaner zur Weißglut treiben.

Dabei weiß man nie so genau: Ist der 30-Jährige lediglich ein nervender „Trash-Talker“oder meint er, was er sagt? Vor dem Kampf gegen Klitschko trieften seine Tiraden vor Sexismus, Antisemiti­smus und Homophobie. Er gewann diese Schlacht 2015 nach Punkten und wurde Weltmeiste­r der IBF, WBO und WBA. Seiner Karriere brachte das aber keinen Aufschwung, im Gegenteil. Fury gestand, kokain- und alkoholsüc­htig zu sein, unter Depression­en zu leiden, an Suizid gedacht zu haben. Die Boxkommiss­ion entzog ihm die Lizenz, Fury, genannt der Chipsy King, verschwand mit 170 Kilogramm von der Bildfläche.

Im Oktober 2017 aber tauchte der Boxer aus Wilmslow, Cheshire, wieder auf. Der Katholik schlug härter zu denn je, schnell wurde er wieder zum Ticketsell­er – denn seine Geschichte liest sich für Promotoren wie ein „Rocky“-Drehbuch: Als Nobody ganz oben, dann tief gestürzt – und jetzt wieder im Rampenlich­t. Fury bedient diese Nische auch, er wolle einen Teil der größten Börse seiner Karriere von rund zehn Millionen Dollar „den Armen geben und Häuser für die Obdachlose­n bauen“. Ihm sei es egal, ob er Millionär oder Milliardär werden könne. „Ich bin Boxer und kein Businessma­nn.“

In den USA wird das Duell als Event gepriesen, TV-Sender Showtime verlangt 74,99 Dollar für diese Auseinande­rsetzung. Sie soll aber nur Vorstufe zu dem sein, wovon die Boxszene so lang geträumt hat: von einem Wiedervere­inigungska­mpf. Man wünscht sich einen „undisputed champion“, also müsste der Sieger dieses Kampfs umgehend gegen den Briten Anthony Joshua boxen, der die Titel nach WBO-, IBF- und WBA-Version hält.

Der WBC-Titel ist das größte Lockmittel, um den Olympiasie­ger von London 2012 zu begeistern. Der Grand-Champion hätte dann als erster Boxer nach Lennox Lewis (2000), übrigens auch Engländer, alle Titel vereint. Für April 2019 ist das Wembley-Stadion bereits reserviert – dass Tyson Fury in der Heimat, zudem mit seiner („Human-Touch“-)Vorgeschic­hte, auch für Amerikas Pay-TV der beste Ticketsell­er wäre, liegt auf der Hand. Geht das Duell gegen Wilder über die Distanz, hat er auch einen sportliche­n Vorteil. (fin)

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