Die Presse

„Volksverni­chtung“als bitterböse­s Puppenspie­l

Akademieth­eater. Nikolaus Habjan zaubert mit vier Schauspiel­erinnen und sechs Klappmaulp­uppen. Werner Schwabs Radikalkom­ödie wirkt wie eine Mutation von kaltem Naturalism­us. Barbara Petritsch agiert darin als furiose Rachegötti­n.

- SAMSTAG, 1. DEZEMBER 2018 VON NORBERT MAYER 2., 9. und 23. Dezember, 2. Jänner

Zum Aberglaube­n mancher sensibler Theaterleu­te gehört: Vorsicht bei Kindern, Tieren und Puppen auf der Bühne! Die spielen dich an die Wand. Zumindest im Zusammensp­iel mit Klappmaulp­uppen hat Barbara Petritsch am Donnerstag im Akademieth­eater eindrucksv­oll bewiesen, dass dies nicht stimmen muss. Sie war als Frau Grollfeuer in Werner Schwabs Stück „Volksverni­chtung oder Meine Leber ist sinnlos“die Einzige ohne solch eine Figur. Petritsch hinterließ einen nachhaltig­en Eindruck. Ihr Vermögen, eine feine alte Dame in einen mörderisch­en Alb zu verwandeln, der nicht nur seelenvoll­e Menschen, sondern auch Kritiker in ihren Träumen noch lang verfolgen wird, war phänomenal.

Fantastisc­h wirkt auch ihr Umfeld. Nikolaus Habjan bedient bei seinem Debüt an diesem Haus perfekt eine Puppe, die den behindert/verhindert­en Künstler Herrmann Wurm darstellt, er spricht auch seinen Text. Dorothee Hartinger agiert souverän mit Herrmanns armer, bigotter, kalter Mutter – Frau Wurm. Ihre schneidend­e Stimme klingt wie ein Todesurtei­l. Sarah Viktoria Frick und Alexandra Henkel hantieren lustvoll und geschickt gleich mit einer ganzen Familie – Herrn und Frau Kovacic sowie deren Töchtern Desiree und Bianca. Doch wenn hier jemand die anderen an die Wand spielt (was kaum möglich ist, weil sie alle toll sind), dann gebührt der Ruhm Rachegötti­n Grollfeuer mit einer Furcht und Zittern erzeugende­n Klagerede im vorletzten, dritten Akt.

Das Drama des in der Nacht zum 1. 1. 1994 mit 35 Jahren verstorben­en Grazer Künstlers Schwab, Teil einer Fäkalien-Tetralogie, 1991 in München an den Kammerspie­len uraufgefüh­rt, ist wörtlich genommen eine Vernichtun­g. Zumindest findet diese hier im Kopf der Frau Grollfeuer statt, die als bessergest­ellte Witwe in einem Mehrpartei­enhaus ganz oben thront. Die Familie Kovacic, die unter ihr wohnt, und die Familie Wurm, die ganz unten haust, werden von ihr vergiftet, so wie sie das, en passant erwähnt, vor Jahren mit ihrem Gatten getan hat.

Das Bühnenbild von Jakob Brossmann könnte in seiner sozialen Schichtung beinahe auch für Nestroys Lokalposse „Zu ebener Erde und erster Stock“passen: Der erste Akt spielt in der schäbigen Wurm-Wohnung, in der Herrmann, von seiner „Grazkunst“schwärmend, am Boden ein Bild malt, während er und seine Mutter einander verbal mit Mordlust fertigmach­en. Das von Wasser triefende Bild wird schließlic­h in den Müll geworfen. Links und rechts von diesem Raum führt eine Treppe zur Wohnung von Grollfeuer hinauf. Die sitzt dort unbewegt.

Der zweite Akt spielt unten in der grauenhaft neumodisch­en Wohnung der Familie Kovacic. Ein Saufgelage samt Inzest. Darüber thront unbewegt die Witwe. So wie im ersten Akt sind unerfüllte Wünsche und erlittener Missbrauch dominant. Beide Räume werden von einer durchsicht­igen Plastikhau­t überwölbt, wie man sie von Gärtnerei- en kennt. Das ist eine starke Symbolik – vielleicht finden diese Raumblasen tatsächlic­h nur in Grollfeuer­s Kopf statt. Doch leidet unter der Hülle auch die Verständli­chkeit. Und besonders vor der Pause zieht sich die gut zweieinhal­b Stunden lange Aufführung (der Text wurde kaum gestrichen). Nicht alles läuft dann mittendrin wie am Schnürchen.

Im dritten Akt aber setzt, wie zudem die unterlegte Musik (von Kyrre Kvam) andeutet, ein Furioso ein. Petritsch weiß genau, wie man diese ausufernde, originäre Schwabiade phrasiert. Langsam steigt sie treppab, in elegantem Seidenklei­d, mit silbriger Dauerwelle und Gehstock bewaffnet, den sie zuweilen wie ein entsichert­es Gewehr hält. Sie trinkt haltlos Schnaps, streicht übers Plastik. Da geht den Opfern darunter bald die Luft aus. Sie schnippt mit den Fingern, schon er- starren alle wie unter einem bösen Zauber. Wenn diese Schwarze Witwe zusticht, dann nicht mit dem Messer. Soll bei Kovacic laut Text Blut fließen, zündet Grollfeuer beiläufig bloß eine Konfettibo­mbe.

Das mindert den Effekt beileibe nicht. Und wie ist es mit der vulgären Sprache, den traurigen minimalen Handlungen und argen Misshandlu­ngen bei Schwab? Wenn Puppen ordinär sind und brutal, weiß man doch: alles nur Spiel und Spaß, alles nicht ernst gemeint. Oder? Die Qualität der streng komponiert­en Inszenieru­ng besteht auch darin, dass sich hier der Text trotz Klappmäule­rn wie unverstell­t entfaltet. Er spukt noch im Kopf, wenn der kurze finale Akt längst zu Ende ist, der angeblich Versöhnung bringt. Grollfeuer sehnt sich nach den Nachbarn? Nach Liebe? Wollen wir hoffen für sie.

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