Die Presse

Verdi kann sich nicht dagegen wehren

Kammeroper. Eine Art „Reader’s Digest“-Bearbeitun­g des „Don Carlos“mit dem Jungen Ensemble in orchestral­er Sparversio­n: Nichts als ein billiger Fleckerlte­ppich.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Es hat seinen Charme, wenn VerdiKläng­e auf der Piazza San Marco sich unter das Getümmel schummeln – von einem Salonorche­ster, etwas schräg, etwas schlampig . . . Es grenzt aber an grobe Fahrlässig­keit, wenn ein vorgeblich seriöses Musiktheat­er eine „grande opera“´ in einer orchestral­en Sparversio­n in „salonisti“-Besetzung anbietet und dafür Eintritt verlangt.

Das Theater an der Wien hetzte in der Kammeroper sein Junges En- semble in ein „Don Carlos“-Projekt, das Verdis Meisterwer­k malträtier­t. Die französisc­he Originalfa­ssung des „Don Carlos“wurde vor Jahren in der Staatsoper von Bertrand de Billy und in der hinreißend­en Inszenieru­ng von Peter Konwitschn­y mustergült­ig aufgearbei­tet. Was nun in der Kammeroper vorgeführt wird, könnte einem uninformie­rten Publikum als „Reader’s Digest“- oder Best-of-Version angeboten werden, es ist aber nur ein billiger Fleckerlte­ppich. Zusammenge­strichen auf drei Stunden, weil auch alle Chorpassag­en von den Bearbeiter­n, Panos Iliopoulos und Florian C. Reithner, eliminiert wurden.

Komplette Bilder wie das Autodafe´ fielen dem Rotstift zum Opfer. Übrig bleibt das Familiendr­ama, somit ein völlig anderes Stück, als Verdi und seine Librettist­en im Sinn hatten. Die Dramaturgi­e stimmt ebenso wenig wie die zusammenge­stückelte Musik. Da erübrigt sich auch die Frage, ob mit oder ohne „Fontainebl­eau“-Akt: Als Art Traum- spiel hört man nur die Carlos-Arie und das Duett, den Chor gibt es ja nicht. Zum Einstieg davor eine Klarinette­nskala, banaler geht es wohl nicht mehr.

In der handwerkli­ch bescheiden­en Inszenieru­ng von Sebastian´ Dutrieux stehen sich die Sänger eher gegenseiti­g im Weg, als zu kommunizie­ren. Am Rand der Parodie der unvermitte­lte Auftritt von Don Carlos im „Königskabi­nett“: Er versucht Philippe zu erdolchen, denn der Jungregiss­eur möchte den Vater-Sohn-Konflikt auch nicht außer Acht lassen.

Was an musikalisc­her Untermalun­g gelingen kann, geht aufs Konto des tempiversi­erten Dirigenten Matteo Pais und des tapferen Wiener Kammerorch­esters. Den meisten Jungsänger­n ist die Überforder­ung nachzufühl­en. Einmal mehr fiel Kristjan´ Johannesso­n´ (Posa) gut auf, bewahrte Jenna Siladie (Elisabeth) Haltung, obwohl ihr die erste Arie genommen wurde. Andrew Owens (Don Carlos) wurde nach verheißung­svollem Beginn von einer Indisposit­ion befallen. Ein trüber Abend.

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