Die Presse

Wien, Baden und der taube Hörer

Mit 2020 naht wieder so ein Jahr. Da feiern wir vor allem den 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens.

- VON OTTO BRUSATTI Otto Brusatti (* 1948 in Zell am See) ist Musikwisse­nschaftler. Er arbeitet an nationalen und internatio­nalen Beethoven-Projekten. 2019 erscheint sein Buch „Die 11 Begierden des Herrn Ludwig van“.

Dieser Ludwig van! Wahrschein­lich ist er einer der 25 außergewöh­nlichsten und kreativste­n Menschen, die je gelebt haben. Wien und dann auch Baden schmeichel­n sich, die wichtigste­n Orte für den Rheinlände­r gewesen zu sein.

Zugegeben, er war ungemein schwierig, nie sozusagen sozialisie­rt, dauernd verliebt und unverheira­tet, als Komponist schon damals und sodann für alle nachfolgen­den Musik-Generation­en eine Art Gott. Es wird weltweit gelegentli­ch einen Overkill an Beethoveni­ana geben. Egal. Sein Werk sollte unendlich spannend bleiben.

Wien hat nun in seinen Kunst-Kultur-Ambitionen für Koordinati­on und Themensamm­lung diese Zeit betreffend (in sowieso schon 13 Monaten) fein etwas institutio­nalisiert. Baden kämpft noch um Budgetmitt­el, doch man ist auf guten Wegen.

Für Wien aber wurde ein gut ausgestatt­etes Büro eingericht­et und eben eröffnet. Wien Beethoven 2020. Das Interesse aus den herkömmlic­hen Spielplätz­en bis zu den Gestaltern im Innovative­n für breiteste Schichten ist groß. „Beethoven für alle!“, auch bei Wiener Wohnen, am Donauinsel­fest und mehr, bis zur internatio­nalen Vernetzung. Das ist toll.

Und dann? Dann bewirbt man dieses Wiener Beethoven-Festjahr (Beethoven wurde leider erst am 16. oder 17. Dezember geboren, was alle Verantwort­lichen und Managerinn­en und Intendante­n vor ziemliche Probleme stellt und einfach die Feiersache­n früher schon anheben lässt); dann bewirbt man also doch tatsächlic­h sein so vielfältig­es Produkt folgenderm­aßen, was nach einer kurzen Schrecksek­unde vielleicht sogar verblüffen wirkt: dann bewirbt man es nämlich mit HÖRT, HÖRT! (sic!).

Das passiert auf Foldern und in Korrespond­enzen, durch Aufkleber und Sonstiges. Bitte! Dieser Ludwig van Beethoven war seine letzten rund zehn Lebens- jahre hindurch bereits völlig taub (auch wenn er währenddes­sen so Solitäres wie die Neunte, die letzte Klaviermus­ik, die Missa solemnis oder Streichqua­rtette schrieb). Ja, dieser Ludwig van Beethoven begann bereits zu ertauben, als er knapp 22-jährig nach Wien übersiedel­te.

Das allemal beklemmend­e Eigenzeugn­is, das „Heiligenst­ädter Testament“ist bald eines der Brutalo-Zeugnisse dafür gewesen. Es war zugleich aber ein Aufschrei, den Beethoven noch oft – auch in Noten – formuliert hat. Beethoven war in seinem steten Hörverlust ein Schwerstbe­hinderter! Depression­en und Suizidgeda­nken waren die Folgen.

Ist es da wirklich vertretbar, auf diesen ganzen BeethovenZ­irkus mittels solch eines recht simplen, alten Versammlun­gsrumorens aufmerksam zu machen? Oder ist solch eine vordergrün­dige Werbeaktio­n für das leidende Genie (Beethoven selbst dazu: „Dieser neidische Dämon“oder „Wie ein Verbannter muss ich leben“) nicht schon ziemlich degoutant?

Übrigens, neben Wien ist ja Baden (das sich – langsam erst – besinnt, dass das Beethoven-Jahr in ein paar Monaten starten wird) die zweite wichtige Beethoven-Stadt. Wir vergessen jetzt einmal, dass dort wichtige Stätten im Augenblick versauen und dass noch immer kein Konzept bestehen kann oder darf für dieses 2020.

Aber, man macht im Beethovenh­aus schon seit einiger Zeit etwa Kinderführ­ungen und Fremdenver­kehrsangeb­ote für den tauben Meister unter „Hört Beethoven!?“sowie aktuell ein Fundraisin­g für das dortige halb kaputte Original-Hammerklav­ier unter „Beethoven erhören“– tatsächlic­h!

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