Hunger, Leid und Tod dürfen niemals Routine sein
Im Jemen sind bereits 14 Millionen Einwohner von Hunger bedroht. Für unzählige Kinder kommt jede Hilfe zu spät.
Die Frau schreit aus tiefster Seele. Sie hat seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Und nun ist auch nichts mehr für ihre Kinder übrig. Es ist der Hunger und die pure Verzweiflung, die diese Mutter dazu bringt, mich anzubrüllen. Sie hat alles Recht dieser Welt, das zu tun.
Ich bin in Amran, im Norden des Jemen. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren, denn hier herrscht eine humanitäre Katastrophe unbegreiflichen Ausmaßes. Seit 2015 wütet ein Bürgerkrieg. Es ist für die wenigen Hilfsorganisationen, die noch vor Ort sind, eine der weltweit komplexesten und gefährlichsten Operationen. Und es ist eine von Menschen gemachte Katastrophe, die mich wütend und fassungslos zurücklässt.
Dem Jemen droht eine Hungersnot. Die Klassifizierung verläuft nach Kriterien, die das menschliche Leid, die leeren Mä- gen und geschwächten Körper, nur erahnen lassen: Eine Hungersnot wird ausgerufen, wenn mindestens 30 Prozent der Kinder unter fünf Jahren akut mangelernährt sind; wenn darüber hinaus täglich mindestens zwei von 10.000 Menschen verhungern; und wenn mindestens einer von fünf Haushalten unter extremem Nahrungsmangel leidet.
In diesen Tagen sammelt ein Expertenteam landesweit Datenmaterial. Wenn die Ergebnisse veröffentlicht werden, wird die Welt kurzzeitig wieder auf den Jemen blicken. Wie kürzlich, als die „New York Times“das Bild eines verhungernden Mädchens auf die Titelseite brachte.
Weit über 10.000 Menschen im Jemen sind bereits im Krieg gestorben, Millionen befinden sich innerhalb des Landes auf der Flucht. Vor einem Jahr waren über acht Millionen Menschen von Hunger bedroht. Heute sind es bereits 14 Millionen. Wie viele sollen es 2019 noch werden?
Jede einzelne Ziffer dieser unbegreiflichen Zahlen ist eine Anklage an die Kriegsparteien und an die internationale Gemeinschaft. Der Hunger, das Leid, der Tod im Jemen: Sie sind das Werk von Menschen. Sie sind die tödliche Folge politischer Machtpoker und des fehlenden internationalen Drucks auf die Kriegsparteien, sich endlich an einen Verhandlungstisch zu setzen und eine friedliche Lösung zu finden.
Die Situation ist unerträglich: Es gibt Nahrungsmittel im Land, aber eine massive Inflation der lokalen Währung in den vergangenen Monaten bedeutet, dass sich Hunderttausende Familien schlichtweg nicht mehr genug zu essen leisten können. Zudem zahlt der Staat seinen Bediensteten seit Monaten keine Gehälter mehr. Das betrifft Lehrer, Ärztinnen und viele andere Berufsgruppen.
Der Preis für Speiseöl ist in den vergangenen Monaten um