Die Presse

Hunger, Leid und Tod dürfen niemals Routine sein

Im Jemen sind bereits 14 Millionen Einwohner von Hunger bedroht. Für unzählige Kinder kommt jede Hilfe zu spät.

- VON KARL-OTTO ZENTEL

Die Frau schreit aus tiefster Seele. Sie hat seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Und nun ist auch nichts mehr für ihre Kinder übrig. Es ist der Hunger und die pure Verzweiflu­ng, die diese Mutter dazu bringt, mich anzubrülle­n. Sie hat alles Recht dieser Welt, das zu tun.

Ich bin in Amran, im Norden des Jemen. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren, denn hier herrscht eine humanitäre Katastroph­e unbegreifl­ichen Ausmaßes. Seit 2015 wütet ein Bürgerkrie­g. Es ist für die wenigen Hilfsorgan­isationen, die noch vor Ort sind, eine der weltweit komplexest­en und gefährlich­sten Operatione­n. Und es ist eine von Menschen gemachte Katastroph­e, die mich wütend und fassungslo­s zurückläss­t.

Dem Jemen droht eine Hungersnot. Die Klassifizi­erung verläuft nach Kriterien, die das menschlich­e Leid, die leeren Mä- gen und geschwächt­en Körper, nur erahnen lassen: Eine Hungersnot wird ausgerufen, wenn mindestens 30 Prozent der Kinder unter fünf Jahren akut mangelernä­hrt sind; wenn darüber hinaus täglich mindestens zwei von 10.000 Menschen verhungern; und wenn mindestens einer von fünf Haushalten unter extremem Nahrungsma­ngel leidet.

In diesen Tagen sammelt ein Expertente­am landesweit Datenmater­ial. Wenn die Ergebnisse veröffentl­icht werden, wird die Welt kurzzeitig wieder auf den Jemen blicken. Wie kürzlich, als die „New York Times“das Bild eines verhungern­den Mädchens auf die Titelseite brachte.

Weit über 10.000 Menschen im Jemen sind bereits im Krieg gestorben, Millionen befinden sich innerhalb des Landes auf der Flucht. Vor einem Jahr waren über acht Millionen Menschen von Hunger bedroht. Heute sind es bereits 14 Millionen. Wie viele sollen es 2019 noch werden?

Jede einzelne Ziffer dieser unbegreifl­ichen Zahlen ist eine Anklage an die Kriegspart­eien und an die internatio­nale Gemeinscha­ft. Der Hunger, das Leid, der Tod im Jemen: Sie sind das Werk von Menschen. Sie sind die tödliche Folge politische­r Machtpoker und des fehlenden internatio­nalen Drucks auf die Kriegspart­eien, sich endlich an einen Verhandlun­gstisch zu setzen und eine friedliche Lösung zu finden.

Die Situation ist unerträgli­ch: Es gibt Nahrungsmi­ttel im Land, aber eine massive Inflation der lokalen Währung in den vergangene­n Monaten bedeutet, dass sich Hunderttau­sende Familien schlichtwe­g nicht mehr genug zu essen leisten können. Zudem zahlt der Staat seinen Bedienstet­en seit Monaten keine Gehälter mehr. Das betrifft Lehrer, Ärztinnen und viele andere Berufsgrup­pen.

Der Preis für Speiseöl ist in den vergangene­n Monaten um

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