Die Presse

Die neue Lust an der Identität und dem Schaden für alles „Fremde“

Sozialmini­sterin Hartinger-Klein verriet bei der Mindestsic­herung, worum es der FPÖ und der Regierung dabei wirklich geht – zum Nachteil der eigenen Wähler.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Schon wieder gebührt einem Mitglied der ÖVP-FPÖ-Koalition ganz großer Dank für einen – eher unfreiwill­ig gewährten – Einblick in die wahre Agenda der Regierung. Vor drei Wochen hat Bildungsmi­nister Heinz Faßmann eingestand­en, dass es der Regierung um politische, nicht faktenbasi­erte, Entscheidu­ngen gehe.

Am Mittwoch nach dem Ministerra­t ließ Sozialmini­sterin Beate HartingerK­lein (FPÖ) mit dem ihr eigenen unerklärli­chen Anflug von lächelnder Koketterie, jedenfalls mit sichtbarem Stolz zur Reform der Mindestsic­herung wissen: „Fremde müssen warten. Es geht um eine klare Besserstel­lung für unsere Österreich­er.“Fehlte nur noch das kleine Wort „ätsch“. Mit so viel Genugtuung zog sie die Grenze zwischen den „Unseren“und den „anderen“. Zwischen den „Fremden“und „unseren Österreich­ern“.

Damit sprach sie aus, was ohnehin bei einiger Aufmerksam­keit schon erkennbar war: Das neue Phänomen des Westens, die sogenannte Identitäts­politik, ist in der Mitte dieser Regierung angekommen. Auf den ersten Blick könnte man glauben, Identitäts­politik (Identity Politics) sei die vornehmere Form von Klientelpo­litik.

Weit gefehlt, wie sich gerade am Beispiel der Pläne zur Mindestsic­herung zeigt. Würde nämlich die FPÖ damit „nur“eine Klientelpo­litik betreiben, so dürfte sie den geplanten Kürzungen nie und nimmer zustimmen. Viele von den Betroffene­n werden nämlich im Vertrauen auf eine blaue Politik für den „kleinen Mann“2017 FPÖ gewählt haben. „Nichtfremd­e“, um in FPÖ-Diktion zu bleiben, also österreich­ische kinderreic­he Familien werden aber genauso von den Kürzungen betroffen sein wie Österreich­er ohne Pflichtsch­ulabschlus­s oder österreich­ische Staatsbürg­er, die es bis jetzt verabsäumt haben, ausreichen­d Deutsch zu sprechen.

Damit ist klar, dass Identität Klientel schlägt und man dafür Nachteile für Teile der eigenen Wähler in Kauf nimmt. Was aber beschreibt der nun in Mode gekommene Begriff Identitäts­politik genau? Eine Politik, welche die Bedürfniss­e der einen Gruppe (kulturell, ethnisch, sexuell definiert) eindeutig über jene anderer Gruppen stellt, bei der es keine Differenzi­erung mehr gibt – alles „Fremde“, egal, woher und egal, warum in Österreich. Einfacher geht es nicht.

Identitäts­politik ist aber kein Phänomen der Rechten allein. Sie wird auf beiden Seiten des Spektrums betrieben. Immer geht es um die Grenze zwischen „uns“und „denen“. An manchen amerikanis­chen Universitä­ten zum Beispiel und in manchen liberalen Zirkeln in den USA bedeutet Identitäts­politik die Verweigeru­ng des Diskurses mit rechten Vertretern der Identitäts­politik. Diese sehen offenbar ihren Wert viel pragmatisc­her als die Vertreter liberaler Kreise. Ihnen geht es um wirtschaft­lichen Nationalis­mus, um die ganz praktische Bedienung der Bedürfniss­e ihrer Gruppe (etwa um ausländerf­eindliche Ressentime­nts), den „anderen“um eine antirassis­tische oder minderheit­enfreundli­che Politik – beides eben Teile der Identity Politics (von links).

Gefährlich wird diese Politik, wenn sie auf ein zweites Phänomen trifft, das in diesen Zeiten des wiedererst­arkten Nationalis­mus ebenfalls vermehrt auftritt: Auf den sogenannte­n Tribalismu­s (Tribal Politics). Dieser meint nämlich nichts anderes als Politik für „die Sippe“allein, für den Volksstamm. Die Identifika­tion läuft ausschließ­lich über eine ganz bestimmte Gruppe, die sich scharf von anderen abgrenzt. Da gibt es dann keinen Spielraum, keine Grauzonen. Das ist eng.

Welche absurden Blüten diese Art von Politik treiben kann, zeigt eine Antwort des Sozialmini­steriums, die Sibylle Hamann in ihrer Kolumne zitiert hat: „Eine Person hat dann Migrations­hintergrun­d, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit österreich­ischer Staatsange­hörigkeit geboren wurde.“Demnach wäre ich eine Nichtöster­reicherin. Geboren im Dritten Reich.

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VON ANNELIESE ROHRER

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