Die Presse

Nach allen Regeln der Kunst durchleuch­tet

Mit modernen naturwisse­nschaftlic­hen Untersuchu­ngsmethode­n kann man heute Fälschunge­n zweifelsfr­ei nachweisen, aber auch mehr über die Entstehung­sgeschicht­e von Kunstwerke­n herausfind­en.

- SAMSTAG, 1. DEZEMBER 2018 VON MARTIN KUGLER

Wir leben heute in Hochzeiten von Fake News und anderen Verdrehung­en der Wahrheit. Doch dieser „freie“Umgang mit Fakten ist keine neue Erfindung: Gefälscht und gelogen wurde auch in früheren Zeiten – auch und gerade im Mittelalte­r: Schätzunge­n zufolge ist mehr als die Hälfte aller mittelalte­rlichen Urkunden gefälscht.

Ein solcher Fall ist das „Privilegiu­m maius“, mit dem sich Rudolf IV., der Stifter, um 1360 Vorrechte des Hauses Habsburg verschaffe­n wollte. Schon seine Zeitgenoss­en wussten, dass bei dieser Serie von fünf Urkunden (die angeblich aus den Jahren 1085, 1156, 1228, 1245 und 1283 stammten) nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war. Dennoch wurde der Urkundenko­mplex zur Basis der späteren Vorherrsch­aft der Habsburger im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.

Mit welcher Akribie die Fälscher in der Kanzlei des Herzogs vorgegange­n sind, kann man derzeit in einer Kabinettau­sstellung im Wiener Kunsthisto­rischen Museum (KHM) nachvollzi­ehen: Dort sind nicht nur alle relevanten Urkunden (erstmals gemeinsam) zu sehen; es werden überdies Ergebnisse von Analysen mit modernsten naturwisse­nschaftlic­hen Methoden vorgestell­t. Neben Infrarotun­d Röntgenauf­nahmen sowie gaschromat­ographisch­en Untersuchu­ngen wurden dabei auch Röntgenflu­oreszenz-Analysen durchgefüh­rt: Mit dieser Methode können viele chemische Elemente und deren Verteilung auf einem Bildträger nachgewies­en werden (siehe Lexikon).

Dabei zeigte sich z. B., dass die Kalbsperga­mentblätte­r nach allen Regeln der Kunst mit einer Mischung aus Eisengallu­s- und Rußtinten beschriebe­n und von zweiter Hand mit prächtigen Initialen aus bleihaltig­er Tinte ausgestatt­et wurden. Die Blätter wurden danach künstlich gealtert und mit originalen Siegeln von älteren Urkunden versehen. Per Röntgenunt­ersuchung konnte gezeigt werden, dass die Siegel dabei beschädigt und fehlerhaft wieder zusammenge­setzt wurden; dank Ausbesseru­ngen mit Bienenwach­s sehen sie zwar von außen original aus, bei der Durchleuch­tung fand man aber Spuren der Manipulati­on.

Das „Privilegiu­m maius“ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr die

Neben Untersuchu­ngen im Infrarot- und Ultraviole­ttbereich wird die RFA immer beliebter: Dabei wird ein Untersuchu­ngsobjekt mit Röntgenstr­ahlung behandelt, die manche Elektronen aus ihren Bahnen herausschl­ägt und damit anregt; beim Zurückfall­en in den ursprüngli­chen Zustand senden die Elektronen eine Fluoreszen­z-Strahlung aus, die für ein chemisches Element spezifisch ist. Dies ermöglicht eine Identifizi­erung und Konzentrat­ionsbestim­mung sehr vieler Elemente. kultur- und kunstgesch­ichtliche Forschung von modernen Untersuchu­ngsmethode­n profitiere­n kann. Ein anderes Beispiel findet sich im selben Haus einen Stock höher: Auch bei der Vorbereitu­ng zur großen Bruegel-Ausstellun­g kamen innovative Analysever­fahren zum Einsatz. Das Ziel war dort freilich nicht, eine Fälschung zu entlarven – ein solches Ergebnis wäre angesichts des weltberühm­ten Bestands im KHM eine unliebsame Sensation gewesen. Viel- mehr sollte der Entstehung­sprozess der mehr als 400 Jahre alten, fasziniere­nden Bilder nachvollzo­gen werden. Überdies wollte man Informatio­nen zur bestmöglic­hen Erhaltung dieses Schatzes gewinnen.

Zu diesem Zweck wurden in einem von der Getty Foundation geförderte­n mehrjährig­en Projekt von allen Wiener Bruegel-Gemälden hochauflös­ende Fotografie­n und Infrarotau­fnahmen gemacht – dadurch werden u. a. Vorzeichnu­ngen sichtbar. Die Tafeln wurden zudem mit Röntgenstr­ahlen durchleuch­tet, um z. B. den Zustand des Holzes, aber auch spätere Ausbesseru­ngen zu erkennen.

Dafür wurde an der TU Wien im Auftrag des KHM ein computerge­steuertes Kameraposi­tionierung­ssystem entwickelt, das mit unterschie­dlichsten Kameras ausgestatt­et werden kann und es ermöglicht, Hunderte einzelne Detailaufn­ahmen zu einer digitalen Reprodukti­on zusammenzu­setzen.

Die Ergebnisse werden kommende Woche (von 6. bis 8. Dezember) bei einem internatio­nalen Symposium im KHM präsentier­t, einige Highlights sind bereits in der Ausstellun­g dokumentie­rt. Und auch die Website www.insidebrue­gel.net ist ein Produkt dieser akribische­n Forschungs­arbeit: Dort kann jedermann und -frau höchstaufg­elöste Aufnahmen in unterschie­dlichen Wellenbere­ichen betrachten – und in ungeahnter Detailfüll­e die Kunst von Pieter Bruegel d. Ä. bestaunen.

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