Mozart, der Dominator von Salzburg
In zwölfjähriger Arbeit haben Musikwissenschaftler die Kirchenmusikalien des Salzburger Domarchivs von Ende des 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts aufgearbeitet.
Kirchenmusik war für die Salzburger Fürsterzbischöfe zu allen Zeiten eine Möglichkeit, ihre Macht und ihre Kunstsinnigkeit unter Beweis zu stellen. Wolfgang Amadeus Mozart, sein Vater Leopold Mozart, Heinrich Ignaz Franz Biber oder Michael Haydn schufen außergewöhnliche Musik für den Salzburger Dom, der als Metropolitankirche das Zentrum der kirchlichen Repräsentation war. Im Archiv der Salzburger Dommusik, die zum Diözesanarchiv gehört, haben sich viele dieser Werke in Autografen oder Abschriften erhalten.
Doch welche Schätze über die Jahrhunderte in den Regalen wirklich lagerten, wusste man bisher nur in Ansätzen. Als 2006 das Salzburger Domarchiv in neu renovierte Räumlichkeiten am Kapitelplatz übersiedelte, wurde damit begonnen, den Bestand erstmals umfassend aufzuarbeiten. „Es gab einen Zettelkatalog. Aber eine gesamte Wand mit Musikalien war dabei gar nicht berücksichtigt“, erzählt die Musikwissenschaftlerin Eva Neumayr, die gemeinsam mit ihren Kollegen Lars E. Laubhold und Ernst Hintermaier in den vergangenen zwölf Jahren die gesamten Kirchenmusikalien des Salzburger Domarchivs vom 17. bis 19. Jahrhundert durchforstete.
Durch dieses vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt sind ein 952 Seiten starker Katalog sowie ein Kommentarband entstanden. Außerdem ist der Bestand nun auch in der internationalen Datenbank RISM digital abrufbar. Es steht damit eine zentrale neue Quelle zum Schaffen von Komponisten wie Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Ernst Eberlin, Leopold Mozart, Wolfgang Amadeus Mozart, Michael Haydn und Luigi Gatti zur Verfügung.
Dass Mozart die Salzburger Kirchenmusik zu seiner Zeit geprägt hat, war klar. Immerhin hat er allein für den Dom 29 Werke geschaffen. „Er war in den 1770erJahren tonangebend und hat am meisten an neuem Repertoire beigesteuert“, erzählt Neumayr. Doch dass die anderen Komponisten in Salzburg angesichts des begabten Domorganisten ihre Arbeit mehr oder weniger einstellten, war doch überraschend. „Die anderen haben anscheinend den Stift weggelegt“, beschreibt die Musikwissenschaftlerin die Situation. Komponisten wie Michael Haydn seien erst zum Zug gekommen, als Mozart in Wien war. Was die Quanti- Eva Neumayr, Lars Laubhold, Dommusikarchiv Salzburg (A-Sd): „
Schriftenreihe des Archivs der Erzdiözese, 17, Hollitzer, 952 Seiten. Eva Neumayr, Lars Laubhold, Ernst Hintermaier: „
Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und MozartKult“, Schriftenreihe des Archivs der Erzdiözese, 18, Hollitzer 2018, 415 Seiten. tät betrifft, übertrafen Haydn oder der weniger bekannte Johann Ernst Eberlin Mozart aber im Schaffen für den Dom bei Weitem: Von den beiden Komponisten sind im Dommusikarchiv jeweils rund 250 Werke dokumentiert.
Der Wunsch der Fürsterzbischöfe, bei ihren Messen immer neue und den Moden der Zeit entsprechende Musik vorzustellen, brachte die Komponisten der Hofmusik in Zugzwang: Sie mussten ständig neue Stücke vorlegen.
Die Bestände des Archivs beginnen mit der Zeit der Weihe des neuen Doms 1628, doch aus der Anfangszeit ist wenig erhalten. Erst als der mehrchörige Stil in der Salzburger Kirchenmusik mit Werken wie Bibers 53-stimmiger „Missa Salisburgensis“in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreicht, nimmt durch die vielen Stimmenabschriften der Umfang des Archivs zu.
Die Stimmenschreiber hatten eine bedeutende Rolle im musikalischen Leben des Kirchenstaats. Sie mussten die Werke der Domkapellmeister für die einzelnen Stimmen vervielfältigen. „Wir haben einen eigenen Schreiberkatalog und konnten sogar einige Kopisten identifizieren“, erzählt Hintermaier. Diese Abschriften gehören auch zu den wichtigsten und wertvollsten Quellen des Archivs. So gibt es Abschriften von MozartWerken, die mit handschriftlichen Notizen von Sohn und Vater Mozart ergänzt sind.
Das Forschungsprojekt hat auch den Blick auf das kirchenmusikalische Leben in Salzburg erweitert. Bisher ging man davon aus, dass im Wesentlichen die Hofkapelle im Dom spielte. Doch nun zeigte sich, dass auch die Stadtpfarrmusikanten viele Dienste bei Messen und Begräbnissen hatten. „Der Dom war ja nicht nur Metropolitankirche, sondern auch Hauptkirche der Stadtpfarre“, so Neumayr. Für die Stadtpfarre waren die bisher wenig beachteten und bekannten Stadtpfarrmusikanten tätig. Sie spielten auch in St. Sebastian, St. Andrä oder St. Blasius und waren bei Begräbnissen – sofern es sich um kein Staatsbegräbnis handelte – im Einsatz.
Und mit noch einem Vorurteil räumt das Projekt auf: Das Ende des Salzburger Kirchenstaats und die Einstellung der Hofkapelle im Jahr 1806 bedeuteten nicht das Ende des musikalischen Lebens in der Stadt. „Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt der bürgerliche Konzertbetrieb“, erzählt Neumayr. So gab es in dieser Zeit Aufführungen von Mozarts „Requiem“oder Haydns „Schöpfung“in Salzburger Kirchen und Konzertsälen.