Wie die Sojabohne auf den Äckern der Welt heimisch wurde
Dass der österreichische Forscher Friedrich Haberlandt ein Pionier beim Sojaanbau war, ist bekannt – nicht jedoch, wer sonst noch das Wissen rund um die Sojabohne kultivierte. Der Blick auf die Wissensgeschichte macht nun schrittweise ein globales Netzwer
Soja „made in Austria“klingt angesichts der gigantischen Mengen, die alljährlich aus Übersee importiert werden, etwas unglaubwürdig – es war aber vor rund 100 Jahren Realität. Ein Relikt aus dieser Zeit ist die Marke „Edelsoja“der gleichnamigen Firma, die 1927 gegründet wurde.
Deren Existenz war Ernst Langthaler, Historiker und Vorstand des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Linz, bekannt. Dass Produkte wie etwa das proteinreiche Sojamehl in einem Werk in Schwechat bis in den Zweiten Weltkrieg erzeugt wurden, ist jedoch weniger bekannt. „Vom Edelsoja-Werk gibt es keine Überreste. 1944 wurde es durch einen Bombenangriff zerstört und nicht wieder aufgebaut“, sagt der Forscher. Nun ist anhand des privaten Nachlasses von Firmengründer Ernst Kupelwieser vieles rekonstruierbar. Der Nachlass ist eine wichtige Quelle in dem von Langthaler geleiteten For- schungsprojekt „Wissensgeschichte der Sojabohne in Österreich 1870–1950“. Möglich war die Zufallsentdeckung, weil das Projekt von Anfang an so konzipiert war, dass der Bogen über die engen Grenzen der Wissenschaft hinaus gespannt wurde.
Auf dem üblichen Weg wäre man über bereits bekannte Personen wie den Agrarwissenschaftler Friedrich Haberlandt, der bei Soja europaweit Vorreiter war, schwer hinausgekommen. Im Fokus des Forschungsprojekts, das vom Land NÖ und der Stadt Wien finanziert wird, steht indes die Interaktion zwischen Akteuren unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche.
Um zu klären, wie Wissen rund um die Sojabohne im Untersuchungszeitraum erzeugt, verbreitet und angeeignet wurde, liegt dem am Institut für Geschichte des ländlichen Raums in St. Pölten angesiedelten Projekt das noch junge theoretische Modell der Wissensgeschichte zugrunde. „Diesen Zu- gang haben wir gewählt, weil uns die übliche Herangehensweise allein über die Wissenschaft zu eng erschien. Nun sind wir die ersten, die es für die Sojabohne anwenden“, erklärt Langthaler. So könne man sich ergebnisoffen von den Quellen zu weiteren Erkenntnissen führen lassen.
So zeigte sich nun, dass die Verbreitung und Aneignung von Wissen rund um die Sojabohne in einem aus vielen Knotenpunkten im In- und Ausland bestehenden Netzwerk geschah. Diese sogenannten „Wissensflüsse“reichen weit in die Gesellschaft hinein. So haben sich verschiedene Akteure nicht nur in Zentren wie Wien, sondern etwa auch im niederösterreichischen Platt mit unterschiedlichen Fragen befasst.
Einer davon ist Franz Brillmayer. Aus dessen zahlreichen Publikationen über die Sojabohne erfuhren die Forschenden, dass er in Platt in der Zwischenkriegszeit auf einer Zuchtstation Anbau- und Zuchtversuche mit der Sojabohne betrieb. Darüber hinaus gelang es, eine Zeitzeugin ausfindig zu machen, die auf einem zeitgenössischen Foto zu sehen war.
Die Entdeckung des EdelsojaWerks führte Langthaler wiederum zum Lebensmittelchemiker Laszl´o´ Berczeller: „Er entwickelte in den 1920er-Jahren ein Verfahren, um die Bitterstoffe der Sojabohne zu neutralisieren. Das Patent wurde auch von Kupelwieser gekauft und zur Herstellung von Vollfett-Sojamehl genutzt.“
Eine zentrale Quelle für die Rekonstruktion des Wissensnetzwerks sind Zeitschriftenartikel – bisher wurden mehrere Hundert analysiert. Wie weit der Diskurs über die Sojabohne damals in die Gesellschaft reichte, zeigt ein Beispiel aus der Zeit nach 1918: „In einer niederösterreichischen Regionalzeitung stießen wir überraschend auf den Artikel eines Lehrers, der Sojabohnen in seinem Hausgarten anbaute und diese Anbauversuche fasziniert beschreibt“, sagt Langthaler.
Warum sich die Sojabohne als Alternative zu tierischem Protein hierzulande nicht durchsetzte, ist noch offen. Allerdings dürften sowohl die skeptische Haltung der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen als auch das Desinteresse der staatlichen Ministerien wichtige Einflussfaktoren sein. Damals wie heute ist das Wissensnetzwerk gleichermaßen global. Soja „made in Europe“gewinnt jedoch (wieder) an Terrain.