Einzelne fangen zu streiten an
Die Leichtigkeit ist dahin. Kaum haben die Standler aufgebaut, könnten sie schon wieder abbauen. Jedes Glas einzeln in Zeitungspapier einwickeln. „Es gibt ein Gesetz“, sagt ein rot gewandeter Marktbeamter. „Eine Verordnung“, verbessert ein anderer. „Das hat der Gemeinderat so beschlossen.“Das Marktamt beruft sich auf die Politiker, Besucher berufen sich auf die Menschlichkeit und das Gemeinschaftsgefühl. Die gefühlte Gesellschaft, das Gemeinsame. Doch das Lustige, Rebellische, Revolutionäre, das scheint dahin.
„Ich habe die Baupläne gesehen“, behauptet ein flotter Kaffeehauspächter, der aufhören wird. „Die wollen auf längere Sicht den Restaurantnaschmarkt ausbauen!“Auf Nachfrage meint er, dass das Parkplatzareal, auf dem der Flohmarkt stattfindet, mehreren Bezirken gehört und er die Bebauungspläne auf einer Internetseite des Bezirks Margareten gefunden habe. Und weg ist er.
Die Stadt Wien würde mit Restaurantpacht sicher um einiges mehr verdienen als mit den Ministandlern. Jeder packt ein, statt mit den Käufern zu verhandeln. Viele ärgern sich, statt sich zu amüsieren. „Wir können uns das alles anhören“, sagt der Mann im Marktamt, der seit 30 Jahren dabei ist. Beschwerdebuch gibt es keines. Die Standler vor der Türe haben es inzwischen eilig. Keine Scherze mehr. Geboren in Frankfurt am Main. Studierte Publizistik, Politikwissenschaften in Salzburg und Laibach. Mag. phil. Ständige Reporterin des Augustin“und Schlagzeugkri Die Wirtschaftskammer, in der der Altwarenhandel organisiert ist, hat der neuen Marktordnung zugestimmt. Zwölf Jahre lang galt die alte Marktverordnung – bis wieder eine neue kommt, das kann dauern. Das Parkplatzareal gehöre der MA 28, und von Bebauungsplänen habe Hengl noch nichts gehört. Ein Drittel der verbauten Fläche des Gemüseund Obst-Naschmarktes sei für Restaurants in Verwendung, und der SPÖ-Bezirksvorsteher des sechsten Bezirks wolle nicht auf die möglichen 40 Prozent aufstocken.
Einzelne fangen zu streiten an, Polizisten treten auf. Zwei Rollstühle mitten im Getümmel. Ein Auto beginnt einzufahren. Gehupe. Weiteres Gestreite. Ein Glas geht zu Bruch. Schlechte Laune überall. Autostau von Lieferwagen. „Die werden Krieg gegen uns führen“, ruft mir einer im Vorbeieilen zu. „Wir sind die Sklaven!“Die kleinen Händler stehen in einer Reihe mit geschlossenen Rollwagerln. Bereit zum Verschwinden. Sie schauen grimmig. Es ist zum Heulen. Panikgefühle machen sich breit. Einer verkauft noch schnell einen Stuhl. „Bitte schön“, sagt er. „Setzen Sie sich.“„Kleine“Leute stehen tapfer mit ihren „Elendshäufchen“da. Sie proben den Aufstand. Autobesitzer haben andere Sorgen: „Was soll ich jetzt tun, bitte, es kommt kein Auto rein und keines raus.“Der Marktamtmann ist gelbgrün im Gesicht und wird umringt. „Wenn wir nicht um drei Uhr weg sind, gibt es eine Anzeige“, weiß eine Standlerin. „100 Euro.“
Alles rennt, rettet, flüchtet. Ein Mann fährt mit dem Auto über eine Bücherkiste. Menschen bücken sich, um die gequetschten Bücher zu retten. Man kann doch nicht Bücher wegwerfen lassen! Wenigstens sind diesmal keine Bagger in Betrieb wie noch vor drei Wochen. Das sah schlimm aus. Damals lernte ich einen Kunstgeschichtler kennen, der eifrig fotografiert und das Naschmarktgeschehen seit Jahren dokumentiert. Fröhlich, eifrig, hoffend.
Der ganze Flohmarkt ist noch immer voller Menschen. „Was die Standler sagen, ist irrelevant“, erklärt der Marktamtmann grantig. Ein Braunbär aus Keramik steht auf dem Boden, ein Gebirgsbild lehnt einsam in der Gegend herum Viele bleiben einfach stehen