Toleranz, ja. Aber welche?
Im öffentlichen Bewusstsein definiert sich der öffentliche Intellektuelle durch sein standhaftes Eintreten für die europäischen Werte, auch und gerade in Zeiten, in denen diese durch Rechtspopulismus, Fremdenfeindlichkeit und illiberale Gelüste bedroht erscheinen. Zu diesen Werten gehört neben Demokratie, den Menschenrechten und der Würde des Menschen vor allem die Toleranz, die es erlauben soll, Andersdenkenden und Andersglaubenden human und ohne Diskriminierung zu begegnen. Rudolf Burger kann als ein öffentlicher Intellektueller par excellence beschrieben werden. Es sind vor allem seine Einwürfe, Analysen und Zuspitzungen, die Debatten auslösen, mediale Aufmerksamkeit generieren, aber auch dazu verleiten, ihm diesen Status des öffentlichen Intellektuellen wieder abzusprechen.
Gerade in jenen Fragen, die in den vergangenen Jahren den politischen Diskurs bestimmten – die Rolle des Islam und der Religion in modernen Gesellschaften, die Flüchtlingspolitik – und die durchsetzt sind von den Beschwörungsformeln der Humanität und der Toleranz, hat Rudolf Burger immer wieder Positionen vertreten, die auf diese Formeln ebenso verzichten konnten wie auf das Schüren billiger Ressentiments. Die Rolle des Intellektuellen erfüllt er gerade in einer Haltung, die vermeintlichen ideologischen Gewissheiten gegenüber ebenso skeptisch ist wie einer Politik, die glaubt, Klugheit durch Moral ersetzen zu können. Eine besondere Provokation stellt in diesem Zusammenhang dann auch Burgers Eintreten für ein Konzept der Aufklärung dar, das einerseits dieses Projekt als Prozess der Säkularisierung beschreibt und andererseits weiß, dass dieses rasch an seine Grenzen stößt.
Die Wiederkehr der Religion erscheint in diesem Zusammenhang als eine höchst problematische Entwicklung: „Für europäische Intellektuelle ist das ein Skandal. Wer in den 1970ern die Welt verstehen wollte, musste das ,Kapital‘ lesen. Heute muss man die ,Hadithen‘ lesen, die Überlieferungen von den Sprüchen und Handlungen Mohammeds. Das finde ich beunruhigend.“Das aber bedeutet, dass sich das Verhältnis des Aufklärers zu den Religionen in einer schon überholt geglaubten Weise neu bestimmen muss, denn es gilt: „Der providenzielle Feind des Christentums ist nicht der Muslim, sondern der Atheist.“Es ist die aufgeklärte Gottlosigkeit, die sich nun gegen die verschiedenen Formen des „organisierten Transzendenzversprechens“– so Burgers Definition von Religion – verteidigen muss.
Das bedeutet nicht, dass Burger einem plakativen Atheismus a` la Richard Dawkins huldigte, denn der Intellektuelle weiß auch, „dass keine Gesellschaft ihre religiöse Vergangenheit leichthin entsorgen kann“. Der laizistischen Forderung, dass der Staat deshalb allen Religionen gleichermaßen neutral gegenüberstehen müsse und religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum zu verbannen habe, steht Burger deshalb ebenfalls mit Skepsis gegenüber. Zwar ist Europa der „einzige Großraum“, den man als säkularisiert ansehen kann, aber das Christentum bildet „bis heute den Boden, auf dem sich unser Denken abspielt, obwohl es seinen religiösen Glutkern weitgehend eingebüßt hat“. In diesem Sinne bezeichnet sich Rudolf Burger auch gerne ironisch als „katholischen Atheisten“.
legt aus Anlass des 80. Geburtstags von Rudolf Burger zwei Neuerscheinungen vor: gesammelte Essays und Gespräche unter dem Titel „Multikulturalismus, Migration und Flüchtlingskrise“sowie einen Band mit Beiträgen „von, für und gegen Rudolf Burger“unter dem Titel „Die angewandte Kunst des Denkens“, dem auch der hier gekürzt wiedergegebene Beitrag Konrad Paul Liessmanns entnommen ist war eine Arbeitskleidung, nicht mehr. Hier dagegen haben wir es mit einem politischen Demonstrationsakt zu tun.“
Wie in der politischen Öffentlichkeit mit diesen ungleichen Gewichtungen religiöser Symbolik umgegangen werden soll, ist nicht einfach zu sagen. Zwar gibt es keine verbindlichen Gründe, die zeigen könnten, ob und welche religiösen Symbole öffentlich gepflegt oder demonstriert werden können, aber jede Gesellschaft, so Burger, muss diesbezüglich eine Entscheidung treffen, die auf einen politischen Dezisionismus hinausläuft: „Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass solche Fragen in letzter Instanz auf eine Dezision hinauslaufen, also auf die souveräne Entscheidung eines Gemeinwesens, die besagt: Das sind wir, und das sind wir nicht. Debatten sollen nicht abgekürzt oder verhindert werden, aber am Ende braucht es eine Entscheidung.“
Die Toleranz des öffentlichen Intellektuellen stößt hier rasch an eine Grenze, der Ton der Gespräche, in denen Rudolf Burger diese Thesen formulierte, klingt auch nach Unduldsamkeit. Ist solch ein Ton nicht Ausdruck der Intoleranz, und ist er mit den Ansprüchen des öffentlichen Intellektuellen als Wahrer der Aufklärung und der Menschenrechte überhaupt noch vereinbar?
Schon Friedrich Heer hat die Vermutung geäußert, dass wir es uns mit der Toleranz insofern etwas zu leicht machen, als wir die Frage der Toleranz auf jene beziehen, die ohnehin zu uns gehören, unsere Meinungen und Lebensstile teilen, aber vielleicht hin und wieder ein wenig davon abweichen. Wer zum Beispiel das Wiener Kulturleben ein wenig kennt, weiß, dass es gerade auf diesem Sektor der informellen Gemein- und Seilschaften mit der Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen nicht allzuweit her ist. Wer zweimal mit dem Falschen spricht und einmal die falschen Hände schüttelt, kann sich mitunter schon als ausgeschlossen betrachten. Auch diese Erfahrung musste Rudolf Burger machen. Und, so Friedrich Heer, wir sind auch gerne dort tolerant, wo es uns eigentlich nicht betrifft – gegenüber dem weit Entfernten, dem Exotischen, gegenüber einem Fremden, das wir nur vom Hörensagen, vom Fernsehen oder aus dem Feuilleton kennen und das uns, zumindest ästhetisch, in seiner Fremdheit vielleicht ohnehin fasziniert.
Die Zumutung des Toleranzgedankens bestünde aber darin, in der unmittelbaren Konfrontation das für uns Inakzeptable wenn nicht zu akzeptieren, so doch zu dulden, damit aber auch zu erdulden. Tolerante Menschen leiden, und eine tolerante Gesellschaft wäre eine, die von diesem Leiden geprägt ist. Der triumphale Gestus, mit dem Toleranz gerne proklamiert wird, ist stets ein Hinweis darauf, dass es sich dabei weniger um Toleranz als vielmehr um Formen der Zustimmung handelt. Die Art, mit der die politische Linke mitunter ihre Toleranz gegenüber dem Islam zur Schau stellt, lässt dann doch auch den Verdacht aufkommen dass hier weniger mit einer patriarchal-konservativen Lebensform signalisiert wird, der das eigene Unbewusste in einem Maße zustimmt, die das politische Über-Ich nie zulassen würde. Die kritische Position, die Rudolf Burger dieser Religion gegenüber einnimmt, lässt hingegen keinen Zweifel daran, dass es zu den neuen Verhältnissen keine fröhliche Zustimmung geben kann.
Dass man den Glauben des anderen tolerieren soll, auch wenn man dessen Wahrheiten nicht teilen kann, kann aus der Hoffnung resultieren, dass es eine natürliche, für die Vernunft einsehbare Religiosität gebe, die ohnehin in jedem Menschen in gleicher Weise vorhanden sei, und dass die unterschiedlich ausgebildeten Religionen, ihre Mythen, Rituale, Zeremonien, heiligen Texte und Gesetze ein äußeres Beiwerk seien, das man deshalb dulden könne, da es letztlich unwesentlich sei. Diese Form von Toleranz setzt eine zunehmende Indifferenz den eigenen Glaubenswahrheiten und Glaubensformen bei den um den wahren Glauben konkurrierenden Religionen voraus, das heißt, sie setzt immer schon eine bestimmte Form der Dis