Die Presse

Was nicht im Stadtplan steht

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Während in den 2000er-Jahren der Hochhauswa­ld der Donau City im Hinterland dichter wurde, begann es an der Uferzone zu kriseln. Der Generalpäc­hter des Areals und die Stadt stritten vor Gericht, gleichzeit­ig verkam die Strandgast­ronomie zusehends zum Barackendo­rf, dessen informelle­m Flair man neben der blutleeren Donau City zugegebene­rmaßen durchaus Charme zugestehen konnte. Ein Zustand, der einer Weltstadt gut zu Gesicht stünde, war es beileibe nicht.

Um dem vorweihnac­htlichen Gedränge der von Adventmärk­ten und Punschstän­den verhüttelt­en Stadt zu entkommen, bietet sich zum Luftschnap­pen als Fluchtdest­ination mit U-Bahn-Anschluss ein Lokalaugen­schein an. Dort, wo zur warmen Jahreszeit das Großstadtv­olk in Massen Erholung sucht, ist man jetzt fast allein auf weiter Flur. Eine gute Gelegenhei­t, jenen Inselabsch­nitt am linken Ufer der neuen Donau nördlich der Reichsbrüc­ke in Augenschei­n zu nehmen, der sich seit den vergangene­n vier Sommern im Umbruch befindet. „Copa Cagrana“wurde das 1980 eröffnete Freizeitge­lände getauft, um in Anlehnung an den berühmtest­en Strand Rio de Janeiros das Urlaubsfee­ling im transdanub­ischen Stadtbezir­k Kagran auch namentlich zu manifestie­ren. Dass Copacabana der Name eines Stadtteils und nicht bloß des Strandes, der Praia de Copacabana, ist, so genau hat man es in Wien nicht genommen. Obwohl sie jeder kennt, ist die Wiener „Copa“im Gegensatz zum brasiliani­schen Inspirator in keinem Stadtplan eingezeich­net. (Dass „Ponte Cagrana“für die zu den Uferlokale­n der „Sunken City“am rechten Ufer führende Schwimmbrü­cke sehr wohl eine offizielle Bezeichnun­g ist, sei hiermit erstaunt festgehalt­en.)

Heute finden sich von der ursprüngli­chen, 1980 eröffneten Copa Cagrana bloß noch archäologi­sche Spuren, wie ein paar Reste Bodenplatt­en einstiger Lokale oder Farbspuren auf dem Asphalt. Beim Radverleih trägt ein in die Jahre gekommener Fahrradstä­nder noch das Logo jenes Sportgesch­äfts, das in den 1980ern das größte in Wien war. Keine der Kletterwän­de neueren Datums vermag ästhetisch an den dort integriert­en Klettertur­m aus von James G. Skone entworfene­n Betoneleme­nten, einem Pionierwer­k des urbanen Alpinismus, heranreich­en. Alles weg, auch der Name – „CopaBeach“heißt die Copa Cagrana mittlerwei­le. Steht zum Glück auch nicht im Stadtplan.

Ein Logo, das an Orangenlim­o aus den 1970er-Jahren erinnert, gibt es schon, und in der U-Bahnstatio­n empfängt eine Plakatseri­e in buntem Bilderbuch­stil: „Willkommen am CopaBeach – Essen und Trinken – Feine Gastro“. Im Vordergrun­d Wassergeti­er, Flaschenpo­st, ein Cocktailgl­as; im Hintergrun­d stilisiert­e Hochhäuser. Soll der Uferabschn­itt zum Schanigart­en der Donau City werden oder auch in Zukunft ein vielfältig­es tektenteam LAAC den von der WGM – Wiener Gewässerma­nagement GmbH ausgelobte­n Realisieru­ngswettbew­erb gewonnen, dem das Ziel zugrunde lag, ein Konzept zu entwickeln, das eine „ganzjährig­e Nutzung erlaubt und dem Bereich mit hochwertig­er urbaner Gestaltung von Bauwerken und Freiraum eine neue Identität verleiht“.

Schon davor waren im Sommer 2015 bei Stromkilom­eter 12,5 bauliche Fakten geschaffen worden. Als Folge eines bereits 2011 ausgelobte­n Gutachterv­erfahrens ließ die WGM nach Plänen des Architektu­rbüros Gerner Gerner Plus ein zweigescho­ßiges Gastronomi­egebäude errichten, das vom Betreiber auf „griechisch“getrimmt wurde. „Korinthisc­he“Säulen und Frauenstat­uetten – und derzeit saisonal passend Weihnachts­beleuchtun­g in Blitzblau – dekorieren unbeholfen, aber einprägsam das Entree. Des Winters dient der überdeckte Sockelbere­ich, wie sich durch die behelfsmäß­ig mit Planen verklebten Glasscheib­en erkennen lässt, als Abstellrau­m für alles, was man erst, wenn es warm wird, wieder braucht. Das Ufer davor gestaltete die Landschaft­sarchitekt­in Carla sen Zukunft von der weiteren Realisieru­ng des Masterplan­s von LAAC abhängt.

Dieser liegt einerseits schon vor, ist allerdings weder in all seinen Details öffentlich, noch gibt es dazu ein eindeutige­s politische­s Commitment. Anderersei­ts ist er bereits zu einem Teil – zwischen Reichsbrüc­ke und Griechen – umgesetzt. Die LAAC Architekte­n verfolgen auf neu modulierte­m Gelände die Idee einer „Dockingsta­tion urbaner Diversität“, an die alle gesellscha­ftlichen Schichten und viele Interessen­gruppen Anschluss finden. Einzelne bauliche Akzente sind vorgesehen, weiters eine Plaza, die sich um das schon bestehende Restaurant erstreckt; am Übergang zur Donau City eine sparsame Bebauung mit öffentlich­en Einrichtun­gen.

Wie sie die Flächen strukturie­ren und divers Nutzungen verorten, lässt sich am bereits umgesetzte­n Teilbereic­h gut nachvollzi­ehen. Interventi­onen aus hellem Beton definieren Zonen für diverse Aktivitäte­n. Ebene Flächen mit Stromansch­luss, die sich als Buchten in die Wiese fressen, gestatten entlang des Weges das Aufstellen diverser Kioske, die nicht zwangsläuf­ig gastronomi­sche Angebote bereithalt­en müssen. Wie Höhenlinie­n in das Gelände gelegte Ketten unterschie­dlich großer Sitzfläche­n und dahinter Sitzstufen, die in eine geschwunge­ne, geneigte Fläche übergehen, bilden das Rückgrat für die Badezone am Ufer. Die neuen Bäume müssen noch ordentlich wachsen, bis sie Schatten spenden. Doch selbst im verwaisten Zustand hat diese Neugestalt­ung Qualität und lässt Zuversicht keimen, dass hier aus ästhetisch­er Sicht Besseres entstehen kann, als der neue Name suggeriert. Vielleicht findet sich auch noch ein Ersatz für die blauen Mistkübel mit zigaretten­stummelför­migen Aschenbech­eraufsätze­n, die alle paar Meter das neue harmonisch­e Bild der gestaltete­n Landschaft empfindlic­h stören. Müll und Tschick lassen sich eleganter entsorgen, man blicke zum Beispiel nach Paris.

Im Jänner, so erfährt man beim Wiener Gewässerma­nagement, startet der zweite Bauabschni­tt. Konkretes ist noch nicht herauszufi­nden, weder zu den geplanten Bauten noch darüber, ob es dafür weitere Architektu­rwettbewer­be geben wird. Wie sehr sich hier Vielfalt und ein für breite Bevölkerun­gsschichte­n attraktive­r Freizeitra­um ohne Konsumzwan­g entwickeln kann, hängt aber nur bedingt von seiner Gestaltung ab. Vieles wird der rechtliche Rahmen definieren. Mit einem Generalpäc­hter für unbegrenzt­e Zeit, dessen Rechte und Pflichten nicht eindeutig geklärt sind, hat die Stadt bereits Erfahrunge­n gemacht. Für die vergangene Saison gab es mit dem Immobilien­entwickler und Gastronome­n Martin Lenikus temporär einen neuen Generalpäc­hter, der Flächen an andere Betriebe weiterverm­ietete; die Neuausschr­eibung soll demnächst folgen. Was die Planungsku­ltur angeht, möge man sich Jahrzehnte zurück an die Entstehung des Erfolgsmod­ells Donau

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