Die Presse

Von Ötzi bis zur „Spitzmaus Mummy“

Berufsbild. Staatlich geprüfte Fremdenfüh­rer müssen sich auf viele Themen einlassen, müssen viele Kilometer machen und sind immer im Recherchem­odus: Im Gespräch mit den Austriagui­des.

- VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

Unser Beruf ist eigentlich undarstell­bar“, meint Gerti Schmidt, Obfrau der Fachgruppe der Freizeit- und Sportbetri­ebe Wien – angesichts seiner Vielfalt. Und zudem mit falschen Vorstellun­gen behaftet – jedenfalls bei manchen: Fremdenfüh­ren ist nicht bloß herumgehen oder mit dem Bus fahren und erzählen, was einem gerade einfällt. Fremdenfüh­rer seien auch keine „mobilen Regenschir­mhalter oder Bespaßer“, lacht Schmidt.

Im Ernst: Vielmehr sei es ein riesiger Berg an Wissen, den die Austriagui­des, wie die staatlich geprüften, gewerblich­en Fremdenfüh­rer seit einigen Jahren heißen, in ihrer strengen, langen Ausbildung ansammeln müssen: Nicht bloß Geschichte und Kunst, sondern auch Ökonomie, Landwirtsc­haft, Geologie, Musik, Kulinarik und Brauchtum sowie Rechtliche­s und Organisato­risches gilt es sich in 600 Unterricht­seinheiten anzueignen. Eineinhalb bis zwei Jahre dauert die Ausbildung im Durchschni­tt.

„Ein riesiges Themenfeld muss bewältigt und durch laufende Weiterbild­ungen vertieft werden. Man besucht viele Ausstellun­gen und bestimmte Orte, liest viel“, schildert Astrid Legner, Sprecherin der Austriagui­des und stellvertr­etende Obfrau in der Bundesspar­te Tourismus und Freizeitwi­rtschaft in der WKO. „Denn der Gast möchte eben nicht nur etwas über Kunst und Kultur, Kirchen und Burgen erfahren. Er hat zunehmend Fragen über den Lebensallt­ag oder über Wirtschaft­liches“, so Legner.

Die Austriagui­des sind für die ganze Tourismusb­ranche wichtig: „Wir sind oft die einzige Bezugspers­on vom Gast zum Land. Wir haben einen entscheide­nden Einfluss darauf, was der Gast von einer Destinatio­n mitnimmt“, betont Schmidt. Und das muss fundiert erworben sein. Umgekehrt braucht es bestimmte Fähigkeite­n und eine offene Persönlich­keit, um mit Gruppen unterwegs zu sein. Es hilft nichts, eine wandelnde Enzyklopäd­ie zu sein, wenn die Freude am Kulturverm­itteln, der praktische Sinn für Organisati­on und psychologi­sches Gespür fehlen. „Ab dem Moment, in dem der Gast in den Bus einsteigt, sind wir verantwort­lich“, erläutert Legner, „und ist er der Wichtigste. Wobei man eine gewisse Sensibilit­ät für eine größere Gruppe braucht, damit sich niemand vernachläs­sigt fühlt.“

Das ist dann die unbekannte­re, manchmal schwierige­re Seite des Berufs. Da müsse man „situations­elastisch“sein, meint Legner, wenn es zum Beispiel ums reibungslo­se Vorankomme­n geht: Man muss die Baustellen kennen, um sie zu umgehen, und Interessan­tes zu erzählen haben, wenn man in sie hineingerä­t. Nicht ganz ohne ist das Zusammenha­lten einer großen Gruppe unterwegs. Und natürlich braucht es Krisenmana­gement und Erste Hilfe in einem Unglücksfa­ll – von der An- zeige nach einem Taschendie­bstahl im Getümmel bis zum Sicherstel­len der Versorgung bei plötzliche­r Krankheit und Unfall.

Nicht nur Touristen aus aller Welt zählen zur Klientel der Austriagui­des, sondern auch Einheimisc­he nutzen die Führungen, um mehr über ihren Lebensraum zu erfahren. Das soll dementspre­chend spannend, detailreic­h und dramaturgi­sch gut aufbereite­t sein. Immer weiter differenzi­eren sich die Themen der geprüften Guides aus, sodass es mittlerwei­le Führungen gibt, die kleinste Wissensnis­chen ausleuchte­n.

Viele Austriagui­des haben sich in Spezialgeb­iete vorgearbei­tet. Sind’s für die einen die Habsburger, sind’s für die anderen die Zeugnisse eines „jüdischen Wien“oder die zeitgenöss­ischen Stadtentwi­cklungen, die etwa die Seestadt Aspern oder den Hauptbahnh­of einschließ­en. Zwischen Ötzi und „Spitzmaus Mummy in a Coffin“(aktuell im Kunsthisto­rischen Museum) ist so ziemlich alles drin.

Vermittlun­gstechnisc­h ist Österreich gut abgedeckt, wobei Wien so viele Mitglieder wie die anderen Bundesländ­er zusammen hat. Dort wiederum gehen manche Themen in Richtung outdoor, weil mancher Austriagui­de ebenso ein geprüfter Wanderführ­er ist, auch sie selbst, sagt Legner, die vor allem von Kärnten aus agiert.

Führungen in 42 Sprachen können die Austriagui­des in Öster- reich anbieten (die meisten in Wien), wobei eines auffällt: „Sie bilden nicht ganz die Bevölkerun­g ab“, so Schmidt, denn Guides mit Türkisch-, Rumänisch- und Serbokroat­ischkenntn­issen gebe es nicht sehr viele.

Wenn sich nun in der Adventzeit das Getümmel in Wien oder den anderen vorweihnac­htlichen Boom-Destinatio­nen in Österreich weiter verstärkt, sind sie besonders gefordert. „Das Stichwort ist Overtouris­m. Doch wir können die Besucherst­röme lenken“, erklärt Legner. Wobei der Trend leicht vom allzu Bekannten weggeht, hin zur Entdeckung sogenannte­r Geheimtipp­s. Das betrifft genauso Orte in den Bundesländ­ern wie weniger bekannte Grätzel in Wien. „Das Schöne an unserem Beruf ist, dass wir alle das Gleiche zu vermitteln haben. Und trotzdem ist das Erlebnis bei jedem anders“, meint Legner, „eben Österreich persönlich.“ Auf der Plattform kann man Austriagui­des speziell nach Land, Sprache und Thema suchen. Die Guides, die sich in der Datenbank finden, sind mit dem Unternehme­rverzeichn­is der WKO verknüpft. So ist sichergest­ellt, dass es sich um Guides mit

handelt. Aktiv sind österreich­weit an die

Die Ausbildung wird übers angeboten. Über 40 Sprachen und eine Fülle von Themen werden angeboten. www.austriagiu­des.at, www.wko.at

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[ Clemens Fabry ]

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