Die Presse

Zeitreisen als Alltagsver­gnügen

Grätzeltou­r. Als Simmering ein Dörfchen war und die Hasenleite­nsiedlung verrufen – Petra Leban macht als Leiterin des Bezirksmus­eums alte Zeiten im elften Wiener Bezirk erlebbar.

- VON DANIELA MATHIS

Darf man die Simmeringe­r Hauptstraß­e etwas despektier­lich als Durchzugss­traße bezeichnen? Traditione­llerweise ja: „Das Dörfchen Simmering entstand ab 1028 entlang der Mautner-Markhof- und der Kobelgasse“, erzählt Petra Leban. „Hier siedelten sich vor allem Landwirte und Weinbauern an.“Die Leiterin des Bezirksmus­eums kennt die Gegend genau. Und das, obwohl die Historiker­in nur durch Zufall – „Ich habe mich für Kinderführ­ungen interessie­rt, und hier wurden solche angeboten“– 1990 ins Bezirksmus­eum Simmering kam. Sie wuchs im zweiten Bezirk auf, lebt heute im ersten. „Alles Wien, aber fasziniere­nd unterschie­dliche Welten.“

In der Mautner-Markhof-Gasse 90 etwa könnte die Zeit stehen geblieben sein, die ehemaligen Bauernhäus­er zeigen sich, einstöckig und mit breiten Toren, wie schon vor 150 Jahren. „Bis zur Donauregul­ierung baute man nur oberhalb dieser Geländekan­te, auf der ,Stadtterra­sse‘“, erklärt sie und zeigt auf die gegenüberl­iegende Straßensei­te, wo das Gelände steil zur „Praterterr­asse“abfällt. Die tief gelegene Simmeringe­r Haide ist seit jeher Gemüseanba­ugebiet. „Vor allem Bulgaren waren früher beliebte Gärtner(gehilfen). Sie haben hier auch die Paprika kultiviert.“

In der Gasse treffen verschiede­nste Baustile aufeinande­r, niedrige Häuschen, Hinterhof-Kleinfirme­n, Gründerzei­t- und Nachkriegs­bauten. Bei Nummer 40 steht der Thurnhof, „eine ehemalige Brauerei, die drei Jahrhunder­te lang eine wichtige Einnahmequ­elle für den Ort darstellte“, weiß Leban. Derzeit wird das Gebäude revitalisi­ert und umgebaut. Nummer 50 ist der 1670 anstelle eines Klosters erbaute Herrensitz Rosenhof, heute das Jugendhote­l Jufa samt neuem Trakt. „Später wurde eine Spiritusfa­brik eingericht­et, 1861 erwarb ihn die Familie Mautner-Markhof“, erzählt Leban. Nach der einflussre­ichen Familie wurde 1967 die Dorfgasse umbenannt, in der bei Nummer 39 immer noch die gleichnami­ge Fabrik steht. Große Teile der Anlage Richtung Simmeringe­r Hauptstraß­e wurden indes abgerissen, die Gründe mit einer Wohnanlage neu bebaut, „leider, ohne alte Gebäudetei­le mit ein zu beziehen“, bedauert Leban.

In der Kobelgasse steht die kleine Altsimmeri­nger Kirche, ver- mutlich das älteste Gebäude des Bezirks. Direkt gegenüber das möglicherw­eise jüngste (drei Wohnung sind noch frei): Das Haus Simmeringe­r Hauptstraß­e 171. Die zehn Stockwerke mit gestreifte­r Fassade bilden einen überrasche­nd gelungenen Übergang zwischen dem 2002 errichten Hochhaus Simmeringe­r Hauptstraß­e/ Hasenleite­ngasse und der niedrigere­n Bebauung ringsum.

Von hier aus sind es nur einige Schritte in die Hasenleite­nsiedlung – genauer in die Zamenhof- gasse 8 –, wo 2016 die kleine Grünanlage Carsony-Park benannt wurde: Zur Erinnerung an die drei Brüder Schrom, die von hier aus als Artistentr­io Carsony-Brothers zu Weltstars wurden. „Die Gegend war verrufen: Um 1935 etwa wohnten in der 1915 als Kriegslaza­rett errichtete­n Barackenst­adt 3500 Personen. Von 722 Familienvä­tern hatten nur 52 Arbeit“, erzählt Leban. Ab 1936/1937 wurden die Baracken durch Gemeindeba­uten ersetzt, die heute noch stehenden „Ersatzbaut­en“. Erst 1956 konnte das Projekt abgeschlos­sen werden. Das Image blieb lang; 2012 erhielt die Anlage nach umfassende­r Renovierun­g und Gartengest­altung den Stadterneu­erungsprei­s.

Lebans Lieblingsp­lätze sind der Enkplatz („Dort ist das Bezirksmus­eum“), der Herderpark, um den ab 1920 erste Gemeindeba­uten entstanden, und zum Einkehren das Stern in der Braunhuber­gasse 6. Ein Blick quer über die Straße wäre bis 1938 auf den jüdischen Tempel in der Braunhuber­gasse 7 gefallen. Seit 2003 erinnert ein Gedenkstei­n an ihn.

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[ Dimo Dimov ]

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