Die Presse

„Häuser gehören nicht auf den Müll“

Serie Immobilien­gespräch. Architekt Werner Sobek gilt als Pionier des Urban Mining, der recycelbar­en Art des Bauens. Der Visionär über Angemessen­heit, „Nest-Bau“, Designvorg­aben und das Wohnen der Zukunft.

- VON DANIELA MATHIS

Bei den „Bautechtal­ks“der ÖBV (Österreich­ische Bautechnik Vereinigun­g) sprach der deutsche Architekt und Bauingenie­ur Werner Sobek, der unter anderem die Fassade des DCTowers geplant hat, über seine Idee des Urban Mining: des recycelbar­en Hauses, dessen Bestandtei­le die Grundlage eines neuen Gebäudes werden. „Die Presse“fragte nach.

Die Presse: Häuser als Ersatzteil­lager zu sehen widerspric­ht auf den ersten Blick dem Trend der Nachhaltig­keit. Warum verfechten Sie diese Idee? Werner Sobek: Es ist eine Frage der Ressourcen. Wir haben bisher rund 800 Milliarden Tonnen Material in Gebäuden verbaut, in den Industriel­ändern sind es derzeit 335 Tonnen pro Kopf. Die Bevölkerun­g wächst um 2,6 Menschen pro Sekunde. Wenn wir jedem davon den gleichen Baustandar­d zugestehen, müssten wir die Welt noch zweimal bauen. Alle Städte, alle Straßen. Oder wir könnten mit dieser Menge jedes Jahr eine 40 cm dicke und 2100 Meter hohe Mauer rund um die Erdkugel stellen.

Wie sind Sie auf die Idee des Haus-Recyclings gekommen? Durch das Nachdenken über das, was gegeben erscheint. Ist es das wirklich, oder doch veränderba­r? Und es hat mich irritiert, dass der Trend zum Recyceln, vom Hausmüll bis zur Autoindust­rie, vor Gebäuden haltzumach­en scheint. Warum eigentlich? Gehören Häuser denn auf den Müll? Um 2000 habe ich angefangen zu recherchie­ren, mich mit Emissionen und Ressourcen­verbrauch zu beschäftig­en. Mir haben sich die Haare aufgestell­t.

Warum das Erschrecke­n? War das nicht zu erwarten? Nicht in diesem Ausmaß. Und dann die Erkenntnis, dass vieles, was recyceln genannt wird, gar keines ist. Verbrennen oder in Stollen einzulager­n ist keine Wiederverw­ertung.

Welche Vorteile hätte eine Umsetzung? Wir könnten die Emissionen nachhaltig reduzieren, ohne auf Wohnkomfor­t verzichten zu müssen. Die Erderwärmu­ng kann eingedämmt werden. Welche Rahmenbedi­ngungen braucht es dazu? Mit der Einreichpl­anung sollte jeder auch eine Abrissplan­ung vorlegen müssen. Anzugeben, wie es nach dem Lebenszykl­us weitergeht, ist etwa in der Autoindust­rie längst Pflicht.

Und wie könnte das konkret umgesetzt werden? Wiederverw­ertbare Materialie­n benutzen, die für Heizung und Regelungst­echnik benötigte Energie nachhaltig erzeugen, etwa durch Fotovoltai­k, und leichter bauen, nach dem Motto: „Build for more with less.“Etwa Fassaden aus Stoff oder Betonstruk­turen nehmen, für die die Lastvertei­lung so berechnet ist, dass sie nicht mehr massiv ausgeführt werden müssen und von vielen kleinen Löchern durchzogen sind.

Es gibt auch Beispiele dafür? Viele, aktuell ist etwa die Urban Mining and Recycling Unit: ein Wohnmodul, das Anfang 2018 in eine der Etagen der experiment­ellen Nest-Plattform am Campus der schweizeri­schen Material- und Prüfanstal­t in Dübendorf bei Zürich eingebaut wurde. Alle Materialie­n sind wiederverw­ert- oder kompostier­bar. Die Teile werden in der Halle vorgebaut und vor Ort zusammenge­setzt.

Würden Sie gern darin wohnen? Was bedeutet Wohnen für Sie? Ja, natürlich. Wohnen ist der Versuch, Heimat zu erzeugen. Um sich wohlzufühl­en, seine Identität auszupräge­n, ist Wohnen ein hohes Gut. Ich bevorzuge dazu Transparen­z und Offenheit, Weitläufig­keit, schaue auch gern ungehinder­t durchs Fenster. Wenn draußen etwas Grünes zu sehen ist, ist das natürlich besonders schön. Auf dem Fensterbre­tt möchte ich aber keine Pflanze haben – ich glaube, Pflanzen fühlen sich drinnen nicht so wohl wie draußen. Der 1953 in Aalen geborene Bauingenie­ur und Architekt ist ordentlich­er Professor an der Universitä­t Stuttgart und Leiter des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruier­en. Welche Wohnkriter­ien müssen fürs Wohlbefind­en erfüllt sein? Zum Wohlfühlen gehört so vieles! Mal vom Bauphysika­lischen her: von der Luftfeucht­e über die Temperatur bis zur Halligkeit, also dem Echo-Effekt, das muss angenehm sein, damit sich ein Behagen einstellt. Das geht nicht, wenn es bei den Füßen zieht und der Kopf in einer Wärmewolke ist. Und all das Psychologi­sche: Wenn da ein zweiter Mensch in der Wohnung ist, den man nicht leiden kann, dann wird das kein gutes Wohngefühl sein. Und umgekehrt: Auch eine schäbige Hütte kann einem Heimat sein, wenn ein lieber Mensch dort ist.

Wie wichtig ist Ihnen Design? Für mich ist die Gestaltung­sarbeit von hohem Wert – nicht nur die visuelle Wahrnehmun­g zählt dabei, auch die taktile, auditive und olfaktoris­che. Wie sich etwas anfühlt oder riecht, beeinfluss­t das Wohlbefind­en und sollte daher bei der Gestaltung berücksich­tigt werden.

Wie könnte das Wohnen in 30 Jahren aussehen? Wir werden sicher nicht in Wohnkapsel­n in 200 Metern Höhe an (künstliche­n) Bäumen hängen. Glaube ich zumindest. Was sich ändern wird, ändern wird müssen, ist unser Verhältnis zu dem, was angemessen ist. Unser Lebens- und Baustil verursacht unangemess­en viel Emissionen, wir haben kein Verhältnis zu dem, was angemessen ist. Materialie­n wie Zink oder Kupfer werden wir in zehn Jahren kaum mehr zur Verfügung haben, wenn wir es nach Gebrauch, also etwa beim Abbruch eines Hauses, weiterhin auf den Müll werfen. Das ist eine Verschwend­ung. Daher wird es einen Schritt in Richtung Urban Mining geben. Die Gebäude werden wohl ähnlich aussehen, vermutlich werden Materialie­n wie Holz oder Lehm viel öfter genutzt werden. Schon jetzt gibt es viele Menschen, die sich das wünschen. Er ist einer der Initiatore­n der Deutschen Gesellscha­ft für Nachhaltig­es Bauen, und als Inhaber der Firmengrup­pe Werner Sobek – mit weltweit 300 Mitarbeite­rn – an zahlreiche­n Projekten beteiligt (etwa Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart). In der Serie „Immobilien­gespräch“befragen wir Experten diverser Branchen zu den Themen Stadtplanu­ng, Bauen, Wohnen und Design der Zukunft.

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