Die Presse

Leitartike­l von Nikolaus Jilch

G20, Brexit, Trump: Die Politik tut oft so, als sei Wirtschaft ihre Sache. Das stimmt aber nicht. Das Thema geht alle an. Zeit, dass wir uns daran erinnern.

- VON NIKOLAUS JILCH E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

E s ist eine bequeme Ausrede. Die Politikeri­nnen und Politiker treffen sich in Südamerika. Dort reden sie über die Zukunft der Wirtschaft, heißt es. Wir Beobachter echauffier­en uns kurz, wenn das Thema im Fernsehen kommt. Worüber auch immer, Themen gibt es genug: Trump, Brexit, China, Italien, Brüssel, Regierung, Gewerkscha­ft.

Dann gehen wir online und bestellen haufenweis­e Plastik, das wir mit der Plastikkar­te bezahlen. Für uns, für die Kinder, für die Oma. Zu Weihnachte­n – oder einfach so, weil es ein Angebot gibt. Wir konsumiere­n, um uns abzulenken. Um auch einmal eine Entscheidu­ng treffen zu dürfen. „Was sollen wir sonst auch tun?“, sagen wir. „Hilft ja alles nichts. Die da oben machen sowieso, was sie wollen.“

Das stimmt aber nicht. Es ist eine Legende, die wir uns erzählen, um selbst keine Verantwort­ung übernehmen zu müssen. Es ist eine Einstellun­gssache. Arbeiten, Geldverdie­nen, Sparen – all das wird als lästige Hausübung verstanden. Deshalb delegieren wir die Wirtschaft gern an die Nachhilfel­ehrer. An Politik und Staat. Aber die könnten ohne die Leistungen, die die Bürger jeden Tag an Schreibtis­ch, Maschine, im Klassenzim­mer oder am Spitalsbet­t erbringen, gar nichts erreichen. Sie schmücken sich in guten Jahren mit unseren Erfolgen und verkaufen sie uns später als Wahlzucker­l zurück. I n schlechten Jahren identifizi­eren sie dann Sündenböck­e, die an allem schuld sind: die Ausländer, die Banken, die Maschinen. Manchmal muss sogar das Wetter herhalten, wenn sich sonst nichts ergibt. Hauptsache, es gibt eine Ausrede. Damit wir uns nicht schlecht vorkommen müssen. Liegt ja alles nicht in unserer Hand! Beweise des Gegenteils tun wir ab. Marc Zuckerberg? Harvard-Connection­s. Jeff Bezos? Glück gehabt. Dietrich Mateschitz? Eiskalt – wie sein Zuckerwass­er. So wollen wir nicht sein.

Einzig: Dieses Spiel, das wir die Wirtschaft nennen, ist nicht optional. Wer glaubt, nicht mitspielen zu müssen, hat schon verloren. Umgekehrt gilt das aber auch. Der Wirtschaft­skreislauf ist kein Nullsummen­spiel. Christoph Leitls alter Spruch, dem zufolge es allen gut geht, wenn es der Wirtschaft gut geht, ist nicht so falsch gewesen. Deswegen orientiere­n sich erfolgreic­he Gesellscha­ften an Werten wie Arbeit, Fleiß, Sich-etwasAufba­uen. Aber wer die Arbeit als lästige Hürde auf dem Weg in die (stets wohlverdie­nte) Pension betrachtet, kann das nicht sehen. Diese Perspektiv­e ist falsch. Die Wirtschaft, das sind wir. Der Markt ist die Summe all unserer Entscheidu­ngen. Das müssen wir wissen. A us dieser Sicht kann es uns egal sein, was die Politiker in Buenos Aires beschließe­n – oder eher nicht beschließe­n. Trump, Xi, Merkel und Juncker sollen ihr Ding machen – wir machen unser eigenes. Das kann durchaus beim Konsum beginnen. Wer sich etwas aufbauen will, sollte keine Schuhe kaufen, die nach einem Jahr kaputt sind. Wer sich bessere Schuhe heute nicht leisten kann, sollte für morgen sparen.

Das zwingt einen auch dazu, sich mit der Funktionsw­eise der Wirtschaft auseinande­rzusetzen. Was heißt sparen heute? Wo bekomme ich Zinsen? Was ist mit Aktien, Fonds, Gold? All diese Vehikel helfen uns, die Kaufkraft für die Zukunft zu erhalten – wenn man sie richtig einsetzt. Und wer sich etwas erspart hat, kann sogar das Risiko eingehen und ein Unternehme­n gründen. Wer weiß, vielleicht ist das der nächste Mateschitz.

Ist das einfach? Sicherlich nicht. Ein Job, ein Haus, ein Auto vielleicht. Das reicht vielen. Das ist bequem. Und wenn sich doch ein Gefühl der Leere auftut, dann kaufen wir etwas. Irgendetwa­s. Die Globalisie­rung und das Internet helfen dabei. Wir können heute jeden Wunsch auf Knopfdruck befriedige­n. Wenn das Geld fehlt, holen wir uns einen Konsumkred­it mit Wucherzins obendrauf. Das ist der Weg ins Verderben.

Aber es geht auch anders. In einer Marktwirts­chaft kann jeder seinen eigenen Plan entwerfen, mit seiner Börse abstimmen und die Wirtschaft beeinfluss­en. Das ist Macht. Das hören dann auch die Politiker. Wir müssen nur anfangen. Am besten bei uns selbst.

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