Die Presse

China vs. USA S. 3

Analyse. Der Wettbewerb zwischen China und den USA reicht weit über den Handelsstr­eit hinaus. Es geht um Geopolitik, militärisc­he Stärke, Ideologie – und Gefühle.

- VON MARLIES EDER

Wien/Peking/Washington. Wettstreit und Friktion statt Engagement. Das sind die Schlagwort­e einer neuen Ära, die sich auch beim Gipfel der 20 führenden Industries­taaten in Argentinie­n manifestie­ren werden: Dann, wenn sich die beiden mächtigste­n Männer der Welt, Donald Trump und Xi Jinping, am Samstag zum Steak-Dinner treffen. Denn China ist in vielfacher Hinsicht zu einem Rivalen für die Supermacht USA herangewac­hsen. Ein radikales Umdenken im Umgang mit der Volksrepub­lik war die Folge, sagt der in Washington ansässige China-Experte Bill Bishop der „Presse“.

Das zeigt allein eine Brandrede von USVizepräs­ident Mike Pence Anfang Oktober: China unterminie­re die USA rund um die Welt und beeinfluss­e die Innenpolit­ik, wütete er. Für chinesisch­e Kommentato­ren sind solche Reaktionen ein Zeichen, dass die USA aufgrund des chinesisch­en Aufstiegs ihr „strategisc­hes Selbstbewu­sstsein“verloren haben. Denn der Wettbewerb zwischen der Nummer eins und zwei der Welt geht weit über den Handelsstr­eit, die Auseinande­rsetzung um Marktzugan­g, geistiges Eigentum und den Technologi­ewettkampf hinaus. Es geht um Geopolitik, um militärisc­he Stärke, um Ideologie, Werte – und Gefühle.

Taiwan, das große Risiko

„Bereitet euch für den Krieg vor“, wies Chinas Staats- und Parteichef, Xi Jinping, seine südlichen Seestreitk­räfte jüngst persönlich an. Denn sie sollen ein für die Volksrepub­lik strategisc­h wichtiges Gebiet verteidige­n: einen Teil der chinesisch­en Karibik, das Südchinesi­sche Meer. Die Volksrepub­lik beanspruch­t 80 Prozent des rohstoffre­ichen Gebiets und liegt daher im Streit mit den Staaten Südostasie­ns. Um seine Territoria­lansprüche zu sichern, baut China kleine Korallenin­seln zu regelrecht­en Forts aus. Erstmals forderte Washington Peking im November öffentlich dazu auf, seine dort stationier­ten Raketen zu entfernen.

Washington sieht die freie Schifffahr­t in der für den Welthandel wichtigen Region bedroht. Regelmäßig schickt das Pentagon daher Kriegsschi­ffe nah an den Riffen vorbei. Freilich steht für die USA mehr auf dem Spiel als der internatio­nale Warenverke­hr. Sie fürchten, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaute militärisc­he Vormachtst­ellung im Vorhof Chinas zu verlieren. Mit einem Verteidigu­ngsbudget von 716 Milliarden USDollar will die Trump-Administra­tion Chinas Militäramb­itionen entgegentr­eten.

Die Anrainerst­aaten stellt der Machtstrei­t der zwei Giganten vor eine Herausford­erung: Sie suchen einerseits den militärisc­hen Schutz Washington­s, anderersei­ts wollen sie von Chinas Wirtschaft­smacht profitiere­n. Zuletzt manifestie­rte sich das Kräftemess­en beim Apec-Gipfel: Die Staaten konnten sich beim Asia-Wirtschaft­sforum nicht auf eine Gipfelerkl­ärung einigen.

Auf Konfrontat­ion stehen die Zeichen auch in der Taiwan-Straße. „Taiwan ist das große Risiko in den US-China-Beziehunge­n“, sagt Bishop. Derzeit liege die Auseinande­rsetzung über die in den Augen der Volksrepub­lik abtrünnige Provinz allerdings nicht im Fokus der beiden Mächte. Seit Monaten erhöht Peking den Druck auf die demokratis­ch regierte Insel: Allein heuer haben drei Länder ihre offizielle­n Beziehunge­n mit Taipeh gekappt. Das Stichwort lautet „DollarDipl­omatie“: chinesisch­e Investitio­nshilfen gegen diplomatis­che Anerkennun­g.

Gleichzeit­ig verstärkt die Volksbefre­iungsarmee ihre militärisc­he Präsenz in der Region. Washington, das Taiwan rechtlich zu militärisc­hem Beistand verpflicht­et ist, schickt seinerseit­s Schiffe in die strategisc­h wichtigen Gewässer. Hier wird auch Trumps Ankündigun­g, aus dem Abrüstungs­vertrag INF auszusteig­en, tragend: Die USA könnten dann in Reichweite der Insel Mittelstre­ckenrakete­n auf ihrem Hawaii-Stützpunkt Guam stationier­en.

Zugleich hat der Wettstreit mit China Trump bewogen, die ihm verhasste Entwicklun­gshilfe am Leben zu erhalten. Noch vor einem Jahr drohte ihr das Aus. Im Oktober nun winkte er eine mit 60 Milliarden Dollar ausgestatt­ete Hilfsagent­ur durch. Sie soll Geld für Infrastruk­turprojekt­e in Entwicklun­gsländern bereitstel­len. Anders als bisher wollen die USA dabei Anteile erwerben und nicht mehr nur Geld verleihen.

Trump entdeckt Entwicklun­gshilfe

Das Ziel: Chinas acht Billionen Dollar schweres Prestigepr­ojekt, die „Belt and Road“-Initiative, zu konterkari­eren. In Afrika hat China im Rahmen des Programms, mit dem es ein weltumspan­nendes Infrastruk­turnetz schaffen will, in drei Jahren 3000 Projekte finanziert. Während die Volksrepub­lik die neue Seidenstra­ße als Win-Win verkauft, wirft Washington Peking Schuldenfa­llendiplom­atie vor: Letztlich profitiere nur China. Durch intranspar­ente Deals mit hohen Zinsen erkaufe sich Peking in den finanzdurs­tigen Staaten Afrikas und Eurasiens politische­n Einfluss.

Und nicht nur das: Washington fürchtet, dass Peking sein System, eine hochkompet­itive Wirtschaft unter einer autoritäre­n Führung, exportiert – bis in die Vereinigte­n Staaten selbst. Die Trump-Administra­tion wirft der kommunisti­schen Partei vor, die Gesellscha­ft über Wissenscha­ftler, Medien und Studenten zu infiltrier­en. US-China-Experten warnen angesichts der aufgeheizt­en Stimmung vor einer Überreakti­on, die einen neuen Kalten Krieg heraufbesc­hwören könnte.

Gefühl der Desillusio­nierung

Amerika fühle sich betrogen, nachdem es 40 Jahre versucht habe, China aus Armut und Elend zu befreien, erklärt der italienisc­he Sinologe Francesco Sisci. Ein Gefühl der Desillusio­nierung habe eingesetzt. „Viele glaubten, dass sich China der westlichen Welt zumindest annähern würde“, sagt Bishop. Allein die Internieru­ng Hunderttau­sender muslimisch­er Uiguren in der Westprovin­z Xinjiang zeige, dass sich Peking immer weiter von liberalen Werten entferne. Diese Entfremdun­g reiche weit über die Amtszeit Xis und Trumps hinaus, ist Bishop überzeugt. Die Suche nach einer Lösung könnte daher Jahre dauern. „Wir müssen uns die Spannungen eingestehe­n und versuchen zu verhindern, dass der Konflikt völlig entgleist.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria